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Eroberer

Eroberer

Titel: Eroberer
Autoren: Stephen Baxter
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Lederkittel und Hose. Aber Wuffa trug sein Haar auf sächsische Art, an der Stirn kurz geschoren und lang im Nacken, während die gelbe Mähne des Nordmanns lose und zottig herabhing.
    Wuffa erkannte den Mann. »Ich kenne dich«, sagte er in seiner eigenen Sprache. »Du bist von der Flotte am Kai.«
    Der Nordmann spie ihm weitere Beleidigungen entgegen.

    Wuffa versuchte es erneut, auf Lateinisch. »Ich kenne dich.«
    Zumindest unterbrach er damit den Strom der Schimpfwörter. »Na und, Arschloch? «
    Britannien war eine Insel, die von römischen Briten, Germanen und Iren bevölkert war, und vom Kontinent kamen ständig Händler herüber. Die meisten Erwachsenen konnten ein wenig Lateinisch, ein Relikt des Imperiums, die einzige gemeinsame Sprache. Dieser junge Nordmann war keine Ausnahme. Obwohl er offensichtlich das lateinische Wort für »Arschloch« nicht kannte.
    »Ich bin Coenreds Sohn. Wir entladen eure Boote …«
    Der Nordmann kickte einen losen Stein weg. »Und so begrüßt ihr eure Handelspartner, mit einem Steinwurf in die Eier?«
    Wuffa hielt seinem Blick stand. Sie wussten beide, dass sie die Wahl hatten; sie konnten die Sache entweder im Kampf austragen oder ihre Differenzen beilegen. »Ich müsste eigentlich bei der Arbeit sein«, sagte Wuffa. »Selbst wenn du mich nicht umbringst, wird es mein Vater für dich erledigen.«
    Der Nordmann lachte. Aber er warnte: »Du musst es aussprechen.«
    »Na schön. Ich entschuldige mich.«
    Der Nordmann grunzte. »In Ordnung. Dein mädchenhafter Wurf hat mir sowieso nicht wehgetan.«
    Damit war die Sache erledigt.
    »Ich bin Wuffa, Sohn von Coenred.«

    Der Nordmann nickte. »Ulf, Sohn von Ulf.« Er spähte mit zusammengekniffenen Augen zu der Mauer hinauf. »Was machst du, wenn du nicht gerade auf der Jagd nach den Eiern von Nordmännern bist?«
    »Fenster einwerfen«, sagte Wuffa ein wenig beschämt. Er hob seine Schleuder. »Um meine Zielgenauigkeit zu verbessern.«
    »Natürlich.«
    »Und du?«
    Ulf zeigte ihm seinen Spaten. »Nach Münzen suchen. Manchmal vergraben die Briten ihre Schätze, weil sie hoffen, dass sie eines Tages zurückkehren werden.«
    »Das tun sie aber nie.«
    »Und wenn, wären sie enttäuscht, denn Ulf der Schatzsucher war schon vor ihnen da. Also, Arschloch . Willst du weiter Steine werfen wie ein Kleinkind, oder wirst du mir beim Graben helfen?«
    Er hatte es mit einem Geistesverwandten zu tun, dachte Wuffa und steckte seine Schleuder ein. »Graben wir. Aber hör auf, mich ›Arschloch‹ zu nennen. Woher weißt du, wo du suchen musst? …«
    Ulf hob die Hand. »Pst. Hörst du das?«
    Es war Gesang, Stimmen, die sich zu einer Melodie vereinigten; hoch und klar wie der Himmel, wehte sie auf der Nachmittagsbrise herbei.
    Die jungen Männer wechselten einen Blick. Sie verschoben die Schatzsuche auf später und machten sich auf den Weg durch die zerstörte Stadt, neugierig, ehrgeizig, unbeeindruckt von den monumentalen Ruinen um sie herum, in ihrer eigenen Gegenwart lebend.

II
    Sie gingen durch die Stadt zu den Ruinen der Festung in der südöstlichen Ecke der umlaufenden Stadtmauer. Der Gesang drang aus einem massiven Steinbau mit rotem Schindeldach unweit der Mauer. Seine riesigen Holztüren standen weit offen, und das Licht der untergehenden Sonne fiel tief in die langen Gänge.
    Vor den offenen Türen hatte sich eine Gruppe von Menschen versammelt, Männer, Frauen und Kinder; es mussten vier-, fünfhundert Leute sein, dachte Wuffa. Sie hatten sich zu einer lockeren Kolonne aufgereiht und gingen langsam die Straße zum Hafen hinunter. Ein Mann in farbenprächtigen Gewändern führte sie an; er trug einen spitzen Hut und hielt eine Art Hirtenstab in der Hand. Die Kolonne wurde von Gruppen von Sachsen flankiert – Krieger, offenbar zum Schutz der Pilger angeheuert. Die Sachsen unterhielten sich miteinander, kauten auf Wurzelstücken herum und musterten die hübscheren Frauen.
    Die Pilger waren Briten; Wuffa erkannte es an ihrer Kleidung und ihrer Haartracht. Die Männer trugen das Haar alle kurz und waren sauber rasiert. Die Frauen hatten ihr Haar zu ordentlichen Zöpfen und Knoten geflochten. Sowohl die Männer als auch die
Frauen trugen Umhänge mit ärmellosen Kitteln darunter und waren mit Armbändern, Armreifen und Halsketten geschmückt. Ein oder zwei Männer hatten sogar eine Toga angelegt, lange Stoffbahnen, die über den staubigen Boden schleiften. Aber die meisten waren reisefertig gekleidet und mit Gepäck beladen. Selbst
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