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Erlosung

Erlosung

Titel: Erlosung
Autoren: Fischer Claus Cornelius
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Gelächter. Die nassen Plastikplanen, die das Haus verhüllten, schlugen knatternd gegen das Gerüstgestänge. Ella lief zur Eingangstür und drückte gegen den Türknopf. Die Tür gab nicht nach. Ella sah an der verhüllten Fassade hoch; nirgendwo im Haus brannte Licht. Unter dem Gerüst war die Dunkelheit so dicht, dass sie die Klingelknöpfe nicht sehen konnte. Sie holte eine Stablampe aus ihrer Jackentasche und richtete den Leuchtstrahl auf das Schloss, dann auf die Klingeltafel neben der Tür. Fünf Stockwerke mit je zwei Klingeln, nur eine für die oberste Etage, einige Namensschilder fehlten. Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Die Hausnummer war unleserlich, verschwunden unter weißer Malerfarbe.
    Ella drückte erst den obersten Klingelknopf und dann alle anderen so lange, bis der Türöffner schnarrte. Sie lehnte sich gegen die massive Holztür. Ein kühler, feuchter Hauch schlug ihr entgegen, vermischt mit der Ausdünstung von Farbe. Sie stieg über die Schwelle und rief: »Rettungsdienst!«
    Im Treppenhaus suchte sie den Lichtschalter mit dem Strahl ihrer Lampe. Es war ein alter schwarzer Drehknopf, und als sie ihn betätigte, ging weit oben eine Behelfslampe in einem Drahtkorb an, die einen kaum sichtbaren Lichtschimmer in den Stiegenschacht warf. Noch einmal rief sie: »Hallo?! Hat hier jemand den Notarzt gerufen?!« Ihre Stimme hallte im Treppenhaus.
Auch diesmal gab es keine Antwort, nur das Geräusch einer Tür, die geöffnet und gleich wieder geschlossen wurde.
    Â»Also los«, sagte Max und lief schnell voran, die schmale Treppe hinauf. Seine weißen Turnschuhe und die reflektierenden Streifen an den Hosenbeinen schimmerten silbrig. Auf den Holzstufen lag Bauschutt, ein Presslufthammer. Stromkabel schlängelten sich über Teerpappe. Ella versuchte mit Max Schritt zu halten, in der einen Hand den schweren Defi, in der anderen die Lampe. Sie hörte ein Krachen über sich, dann einen unterdrückten Fluch, gefolgt von einem Stöhnen. »Verdammter Mist! Bambi?«
    Â»Was ist?«
    Â»Ich glaube, ich hab’ mir den Knöchel verstaucht!«
    Sie erreichte den Absatz auf dem zweiten Stock, richtete die Lampe auf Max, auf sein schmerzverzerrtes Gesicht. »Das Scheißding lag unter der Pappe!« Er betastete sein linkes Fußgelenk, das bereits anzuschwellen begann. Daneben ragte ein Schraubenzieher ein Stück unter einem Streifen Teerpappe hervor. »Mach schon, warte nicht auf mich!«
    Â»Bist du sicher?«
    Â»Klar, ich komme gleich nach.«
    Â»Nein, ruf lieber Hilfe. Sorg dafür, dass sie noch einen Notarztwagen oder ein Einsatzfahrzeug schicken.«
    Ella nahm die Stablampe in den Mund, hielt sie mit den Zähnen. Sie griff nach dem Notfallkoffer und stieg weiter die Treppe hinauf, folgte dem Lichtstrahl über die Stufen, ließ sich vom Adrenalin nach oben tragen. Sie erreichte die oberste Etage, auf der es nur eine Tür gab, mit gehämmertem Aluminium beschlagen, kein Namensschild, keine Klinke über dem Schloss, aber ein Klingelknopf. Einen Moment lang war ihr schwindlig, und sie spürte einen stechenden Druck hinter den Augen.
    Sie stellte Koffer und Defibrillator ab und nahm die Taschenlampe aus dem Mund. Sie klingelte. Sie konnte die Klingel nicht
hören. »Hallo?! Können Sie aufmachen?! Rettungsdienst!« Sie schlug mit der Faust gegen die Tür und klingelte noch einmal, und wieder geschah nichts. »Brauchen Sie da drinnen einen Notarzt?«
    Weit unten auf der Treppe hörte sie Max stöhnen. Gleich darauf erklang ein Scharren, als versuchte er, sich die Stufen hochzuziehen. Guter Max, gab niemals auf, ein Assistent, auf den man sich verlassen konnte. Warum musste er sich ausgerechnet jetzt den Knöchel verstauchen? Verdammt, wie soll ich in die Wohnung kommen ohne Feuerwehr? Was ist, wenn die Patientin stirbt, weil wir nicht rechtzeitig –
    Plötzlich ertönte ein Schrei. Es war ein lang gezogener Schrei von jenseits der Tür. Noch nie hatte Ella jemanden so schreien hören, keine Frau, keinen Mann, überhaupt kein lebendes Wesen. Mein Gott, was ist das?! Gerade als sie glaubte, der Schrei werde niemals enden, verstummte er abrupt, und da war nur noch Stille.
    Â»Max?«, sagte Ella leise, den Mund dicht am Schultermikro des Sprechfunks, »hörst du mich? Hast du die Feuerwehr erreicht? «
    Es knisterte in ihrem Ohrstöpsel, aber Max
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