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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner
Autoren: Gullivers Reisen
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ein einziges Mal. Und dieses einzige Mal entschied über meine Zukunft!

    Der König hatte einen Ruhetag angeordnet. Wir wohnten in einem Schloß an der Küste. Glumda fühlte sich zu matt, um mich spazierenzutragen, und befahl einem Pagen, ihr Amt zu übernehmen. Er versprach ihr hoch und heilig, mich nicht aus dem Traghaus herauszulassen und nach einer Stunde zurückzukehren. Er hielt sein Wort. Trotzdem kam er ohne mich wieder. Ich war spurlos verschwunden, samt dem Haus! Was war geschehen? Ich kann es nur vermuten. Denn das Haus hatte ja keine Fenster, durch die ich hätte hinausblicken können. Ich merkte nur, daß ich vom Stuhl fiel und im Zimmer umherrollte, als sei ein Erdbeben ausgebrochen. Wenn die Möbel nicht am Boden und an den Wänden befestigt gewesen wären, hätten mich der Schrank oder das Bett wahrscheinlich erschlagen. So aber kriegte ich einen Bettpfosten zu packen und hielt mich mit aller Kraft fest. Das schaukelnde Haus schien in den Himmel gerissen zu werden. Dann hörte ich entsetzlich lautes Kreischen, und plötzlich stürzte das Haus in die Tiefe, bis es so hart aufschlug, daß mir Hören und Sehen verging. Nun schwankte es nur noch wie ein Schiff bei mäßigem Seegang.
    Ich schloß die Tür auf, öffnete sie einen Spalt, schlug sie aber entsetzt wieder zu; denn ich hatte genug gesehen: Mein Haus trieb im offnen Meer!
    Ich war verzweifelt. Würde ich untergehen? Oder verhungern und verdursten? Ich versuchte das Dach fortzuschieben, das Glumda, das liebe Zwölfmeterkind, jeden Morgen mühelos abgehoben hatte. Doch ich war zu schwach und brachte es nicht zuwege. Ach, und Glumda! Wie würde sie weinen, wenn der Page ohne mich ins Schloß käme! Und wie war ich aufs Meer geraten?
    Vermutlich hatte der Page mein Haus an den Strand gestellt, um Muscheln zu suchen. Dann mußte wohl ein mächtiger Seeadler das Haus erspäht und mit dem Tragbügel im Schnabel davongetragen haben, bis er es, im Kampf mit einem oder mehreren anderen Adlern, ins Meer fallen ließ. Ich wußte keine bessere Erklärung, und auch heute noch glaube ich, daß es zutrifft.
    So hockte ich Stunden über Stunden auf dem Bett und kam mir vor wie in einem schwimmenden Sarg.
Niemand würde erfahren, was aus mir geworden sei, weder Glumda und der König, noch meine Frau und die Kinder. Mary mußte allerdings schon seit Jahren glauben, daß ich tot sei. Nun, so hatte sie mich zu früh beweint. Es änderte nichts daran, daß es mit mir zu Ende ging. Ihre Tränen hatten sich nur im Datum geirrt. Liebe Leser, ihr wißt, daß ich am Leben geblieben bin. Sonst könnte ich jetzt nicht in meinem Obstgarten sitzen und darauf warten, daß Mary aus der Küche herüberruft, ich möge zum Essen kommen. Ihr habt ganz recht: Ich wurde gerettet. Wie das im einzelnen vor sich ging, erfuhr ich erst, als ich in der Kajüte des Kapitäns Wilcocks saß. Bis dahin hatte ich in meinem schaukelnden Sarg nichts weiter gemerkt, als daß man an den Außenwänden und am Dach klopfte und hämmerte. Dann schien sich das Haus zu bewegen, als werde es vorwärtsgezogen. Dann wurde noch lauter und noch länger gehämmert und geklopft. Dann schwankte das Haus, als sei es eine Luftschaukel. Und plötzlich, mit einem Ruck, stand es still und rührte sich nicht mehr. Dann schlug jemand laut gegen die Tür und rief: »Ist dieses komische Gebäude bewohnt?« Ich schrie durchs Schlüsselloch: »Jawohl!« Nun brüllte jemand: »Kommen Sie heraus!« Ich schloß zögernd auf, trat ins Freie und blickte senkrecht in die Luft, weil ich ja an Riesen gewöhnt war. Doch ich sah keinen Riesen. Ich war vielmehr von Menschen umringt, von Seeleuten, die ihre Pistolen auf mich gerichtet hatten. Das Haus und ich standen auf einem großen Frachtsegler! »Menschen! Richtige kleine Menschen!« rief ich begeistert und fiel dem Kapitän um den Hals. Ich befand mich auf einem englischen Schiff! Wilcocks, der Kapitän, erzählte mir, daß ein Matrose, der im Mastkorb saß, plötzlich gerufen habe: »Im Meer schwimmt ein Haus!« Zunächst hatte es niemand glauben wollen. Denn was hatte ein Haus mitten im Ozean zu suchen? Doch dann sahen es alle, erst durchs Fernrohr, dann mit bloßem Auge, und nun wurde das größte Ruderboot ausgesetzt, um das geheimnisvolle Gebäude beizuholen und an Deck zu hieven. Die Arbeit war außerordentlich mühsam und gefährlich gewesen. Denn auf Fracht wie mein Haus waren die Ketten, Seile, Flaschenzüge und Matrosen nicht eingerichtet. Doch das Werk glückte. Das
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