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Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

Titel: Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
Autoren: Patricia A. McKillip
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einem abgeschiedenen Ort stehen, fern von Euren Tieren, die bei einem solchen Schrei in alle Windrichtungen davonjagen würden, brauchtet Ihr nur aus derselben Kraftquelle zu schöpfen wie gestern abend. Die Schwierigkeit liegt darin, einen Ton hervorzubringen, dem keine physischen Grenzen gesetzt sind. Das bedarf einer starken Ausgangskraft und großer Hingabe. Am besten wartet Ihr auf einen günstigen Wind.«
    Morgon ließ sich das durch den Kopf gehen. Das sanfte, rhythmische Trappeln der Hufe und das ferne Rauschen des Flusses klangen zerbrechlich in der Stille, die für jeden Schrei undurchdringlich schien. Er dachte an den vergangenen Abend zurück, versuchte, die Quelle unerschöpflicher Kraft wiederzufinden, die ihn mit solcher Macht überwältigt hatte, daß er den stummen Schrei hervorgebracht hatte. Die Sonne, die hinter einer Wegbiegung hervorsprang, übersäte plötzlich seinen Pfad mit Sternen. Das ungebrochene Blau des Himmels erzitterte in einem Klang ohne Ton. Er nahm einen Atemzug von dem verborgenen Klang und ließ einen Schrei aus sich hervorbrechen.
    Aus den Bergen kam ein Schrei der Antwort. Einen Herzschlag lang lauschte er ihm ohne Überraschung. Dann sah er, wie Thod vor ihm anhielt und sich verblüfft nach ihm umdrehte. Thod sprang vom Pferd, riß an den Zügeln des Packpferds, und Morgon, der plötzlich erkannte, was das für ein Geräusch war, glitt ebenfalls von seinem Pferd und zerrte es dicht an die Felswand. Er kauerte sich hinter ihm nieder, als das Pfeifen und Scheppern kollernder, springender Steine zu ihnen heruntersauste, auf die Straße prallte, den Hang hinunterraste.
    Die Gewalt des Steinschlags erschütterte die kahlen Gipfel und versteckten Wälder. Ein Felsbrocken, so groß wie ein Foh- len, schlug auf den Felsrand über ihren Köpfen, sprang leicht über sie hinweg und stürzte sich den Hang hinunter zum Fluß, wo er im Vorbeirasen einen jungen Baum mitnahm. Dann dröhnte ihnen triumphierend die Stille in den Ohren, die sich wieder gesammelt und ihren Platz zurückerobert hatte.
    Morgon, der hart an der Felswand kauerte, als müßte er sie abstützen damit sie nicht einstürzte, drehte vorsichtig den Kopf. Thods Blick, der den seinen traf, war ausdruckslos. Dann aber spiegelte sich doch ein Ausdruck in seinen Augen.
    »Morgon - «, sagte er.
    Er brach ab und führte die zitternden Pferde von der Wand weg. Morgon beruhigte sein eigenes Pferd und zog es wieder auf die Straße hinaus. Neben ihm blieb er stehen, zu müde plötzlich, um in den Sattel zu steigen. Schweißtropfen rannen in der kühlen Luft prickelnd über sein Gesicht.
    »Das war dumm«, sagte er wie benommen.
    Thod senkte seinen Kopf an den Hals seines Pferdes. Morgon, der ihn nie zuvor lachen gehört hatte, stand baß erstaunt im Schnee und lauschte. Das Gelächter hallte aus den hochgelegenen Spalten und Klüften zu ihnen zurück, bis das Gelächter von Stein und Mensch sich zu einem unmenschlichen Geräusch vermischte, das Morgon schmerzhaft in den Ohren klang. Verwirrt machte er einen Schritt vorwärts. Thod gewahrte die Bewegung und verstummte. Seine Hände waren in die Mähne des Pferdes verkrampft, seine Schultern waren starr. »Thod - «, sagte Morgon leise.
    Der Harfner hob den Kopf. Er nahm die Zügel und stieg bedächtig auf sein Pferd, ohne Morgon anzusehen. Unten am Hang legte ein großer Baum, halb entwurzelt, sein Stamm gebrochen, sein Gesicht in den Schnee. Morgon starrte hinunter und schluckte trocken.
    »Es tut mir leid. Es war gedankenlos, den Großen Schrei gerade bei Schneeschmelze in den Bergen zu üben. Ich hätte uns beide töten können.«
    »Ja.« Der Harfenspieler stockte kurz, als müßte er seine Stimme suchen. »Der Paß scheint gegen Gestaltwandler gefeit
    zu sein, nicht aber gegen Euch.«
    »Habt Ihr deshalb so gelacht?«
    »Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte.« Endlich sah er Morgon an. »Seid Ihr bereit weiterzureiten?«
    Müde zog Morgon sich auf den Rücken seines Pferdes. Die Abendsonne, die sich langsam zum Erlenstern-Berg hinneigte, malte einen Leuchtpfad den Paß hinunter.
    »In ein paar Meilen«, bemerkte Thod, »steigt die Straße zum Fluß ab. Dort können wir unser Lager aufschlagen.«
    Morgon nickte. Während er seiner zitternden Stute beruhigend den Hals tätschelte, fügte er hinzu: »So laut klang es gar nicht.«
    »Nein. Es war ein sanfter Schrei. Aber er hatte Wirkung. Wenn Ihr einmal den Großen Schrei richtig hervorstoßt, wird, glaube ich, die Welt
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