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Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)

Titel: Erdenrund: Hartmut und ich auf Weltreise (German Edition)
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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angefangen hat mit den Erinnerungslücken, war ich erschrocken. Ich habe es einfach hingenommen, war nur neugierig, was in der Zwischenzeit wohl passiert sein mochte. Die Neugier schleicht sich auch jetzt wieder von hinten an mich heran. In der Küche liegt der Notizzettel meiner Mutter. Also eigentlich meine To-do-Liste. Jede einzelne Position ist abgehakt. Darunter steht eine neue Aufstellung mit Besorgungen: Kabel, LED-Leiste, Schrumpfschlauch, Schalter, Trafo. Alles ist als bestellt abgehakt. In meiner Schrift.
    Der nächste Weg führt mich ins Bad. Hier wohnt jetzt Irmtraut. Ihre Schwimminsel dümpelt in der Wanne, während die Schildkröte ein paar Züge schwimmt. Erst als ich mich über den Rand beuge, bemerkt sie mich. »Na, meine Süße, ist bei dir alles in Ordnung?« Irmtraut streckt ihren Kopf heraus. Sie reckt ihren Hals, bis er nur noch fingerdünn ist. Sie will gekrault werden. Währenddessen schaue ich nach ihrem Futter. Alles sieht normal aus. Irmtraut klettert auf ihre Insel und kniept mir freundlich zu. Ob sie die anderen vermisst? Yannick bestimmt. Er hat sich immer gern auf den Wannenrand gesetzt und seine Schwanzspitze ins Wasser gleiten lassen, als ob er es nicht bemerken würde. Irmtraut schlich sich dann gerne tauchend an und versuchte, nach dem interessant zuckenden Teil in ihrem Terrain zu schnappen. Yannick brauchte nicht mal hinzuschauen, um die Schwanzspitze rechtzeitig wegzuziehen. Manchmal haben die beiden sich auch nur mit halbgeschlossenen Augen gegenübergesessen und die Gegenwart des anderen genossen.
    »Ich vermisse Yannick auch«, sage ich zu Irmtraut. Sie zieht ihren Hals ein und bleibt ganz ruhig sitzen.
    Ich vermisse nicht nur Yannick. Wieso konnten wir nicht einfach zusammenbleiben? Es hätte doch Möglichkeiten geben müssen, gemeinsam damit fertig zu werden. Hartmut ist einfach unerträglich, wenn er trauert. Er ist theatralisch. Pathetisch. Einmal hat er sich auf den Boden geworfen, sich Haare ausgerissen, sich Erde ins Gesicht gerieben und laut gekreischt. Er hat es ernst gemeint. Sein Schmerz ist so groß wie meiner. Vielleicht sogar größer. Aber die Art seines Umgangs mit dem Leid machte mich völlig fertig. Zwischendurch dann immer wieder diese Diskussionen. Wer schuld war, was man hätte anders machen können, warum ausgerechnet uns so etwas zustoßen musste, wie sich die Welt weiterdrehen kann. Ich muss mir eingestehen: Ich habe vieles gesagt, was ich schon bereute, als ich die Luft dafür holte, aber die Worte kamen einfach herausgeschossen. Ich konnte sie nicht aufhalten, und manchmal wollte ich es auch gar nicht. Ich wollte ihn trösten, aber ich konnte nicht. Ich wollte Trost, doch er konnte nicht. Manchmal wollte ich sogar, dass Hartmut und unsere Freunde leiden, aber meistens war mir alles nur zu viel. Es spielt keine Rolle, dass mich niemand trösten kann. Hartmut hätte es können müssen.
    Ich habe unsere kleine Familie verlassen. Nun muss ich eben ertragen, dass ich sie vermisse.
    Hier ist alles anders. Meine Mutter hat auch geweint, aber vor meinen Augen nur, als ich angekommen bin. Wenn sie traurig ist, stürzt sie sich in die Arbeit. Und mich direkt mit. Seit Monaten bekomme ich täglich einen Zettel mit Aufgaben. Natürlich nicht ohne jeden Morgen ein großes Theater darum zu veranstalten, dass ich all die Erledigungen und Handreichungen nicht machen müsse, dass sie es auch selbst erledigen könne oder es andere gebe, die das übernehmen würden. Vor allem den Pana. Ein ewiges Spielchen, das jedoch in Ordnung geht, denn so weckt sie für ein paar Minuten am Tag meinen Kampfgeist. Ich bin mir nie sicher, ob sie instinktiv ständig etwas sagt, was mich auf die Palme bringt, oder ob sie es ganz bewusst macht, um meinen Aktivitätsmodus einzuschalten. Sie ist beständig hibbelig, nervös, überdreht und betriebsam. Wie ein junges Rennpferd kurz vor dem ersten Start. Beim Rennen selbst ist sie dann ruhig, souverän und siegesbewusst. So war sie immer schon, meine Oma hat es mir bestätigt. Gut, morgens kommt meine Mutter schwer in die Gänge, aber sobald sie ihren Kaffee getrunken hat, läuft sie herum wie ein mageres, gesprächiges Duracell-Häschen.
    Ihre Aufträge lassen mich die Tage überstehen, ohne viel nachzudenken. Oft sogar, ohne überhaupt geistig anwesend zu sein.
    Als ich die ersten Male merkte, dass ich nicht wusste, wo die letzten Stunden geblieben waren, machte ich mir zwar Sorgen, hatte aber das Gefühl, dass ich das im Moment genauso
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