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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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nachtschlafender Zeit.«
    Ihr geliebter LV-Koffer stand neben der Wohnungstür, und drin waren: ein Lulu-Guinness-Necessaire, zwei Duftkerzen von Jo Malone, ein iPod, mehrere Marimekko-Nachthemden, ein Fotoapparat, eine Lavendel-Augenbinde, Ipo-Nagellack, falls ihre manikürten Nägel litten, »beim Pressen«, ein Zahnweißmittel, um etwas zu tun zu haben, denn »es könnte sein, dass ich eine Menge Zeit habe«, drei Versace-Strampelhosen und ihre letzte Ultraschallaufnahme. Die anderen Ultraschallaufnahmen hingen an der Wand. Und da fiel mir etwas ein …

    m Unfall hatte ich stark hypochondrische Anwandlungen. Nicht, dass ich mir Krankheiten einbildete, aber wenn ich krank wurde, interessierte mich das brennend, und ich versuchte, Aidan in das Drama mit einzubeziehen. Wenn ich beispielsweise Zahnschmerzen hatte, ließ ich ihn in regelmäßigen Abständen wissen, wie die Sache verlief. »Der Schmerz hat sich verändert«, sagte ich dann. »Anfangs war es eine Art summender Schmerz, aber das ist jetzt anders, jetzt ist es mehr stechend.« Aidan kannte das schon, meine Dramatisierungen, und er erwiderte dann: »Stechend, aha? Das ist was Neues.«
    Vor anderthalb Jahren hatte ich mir sogar etwas gebrochen. Ich hatte in einem Schrank gewühlt, und als ich mich zu schnell umdrehte, knallte ich mit dem Finger an die Schublade und fing sofort an zu brüllen: »Oh Mann, oh nein. Mein Finger, es tut so weh.«
    »Setz dich«, sagte Aidan. »Welcher ist es?«
    Er nahm den Finger und – ich weiß, es klingt ein bisschen seltsam – nahm ihn in den Mund. Seine Mom hatte das bei ihm und Kevin gemacht, als sie klein waren und wenn sie sich verletzt hatten. (Bei mir ist es die Stelle zwischen den Beinen, an der ich mich ziemlich oft verletzte.) Ich machte die Augen zu und wartete, dass der Schmerz in seinem warmen Mund abklingen würde.
    »Besser?«
    »Ehrlich gesagt, nein.« Was überraschend war, denn normalerweise funktionierte es.
    »Das ist schlecht. Dann müssen wir ihn wohl abschneiden.« Vor unseren Augen schwoll mein Finger an und wurde immer fetter, wie aufgehender Brotteig im Zeitraffer. Gleichzeitig veränderte sich die Farbe von Rot zu Grau und fast Schwarz.
    »Himmel«, sagte Aidan. »Das sieht wirklich schlecht aus. Vielleicht muss er wirklich abgeschnitten werden. Wir sollten damit lieber in die Notaufnahme.« Wir sprangen in ein Taxi, und meine Hand lag auf Aidans Schoß wie ein kleines krankes Kaninchen. Im Krankenhaus musste ich zum Röntgen, und ich war erregt, ja wirklich, erregt, als der Arzt die Aufnahme an den Leuchtkasten klemmte und sagte: »Ja, da haben wir es, ein Haarbruch im zweiten Fingerknöchel.«
    Obwohl ich keinen richtigen Gips bekam und der Finger nur geschient wurde, war es ein gutes Gefühl, nicht als eingebildete Kranke entlarvt zu werden. Ich hatte mir den Finger gebrochen. Es war keine Prellung, auch keine Zerrung, sondern ein Knochenbruch.
    Als an den Tagen danach alle meine Schiene bemerkten und sich nach meiner Verletzung erkundigten, antwortete Aidan immer an meiner Stelle: »Alpin-Slalom, sie hat einen Pfosten böse gestreift.« Oder: »Beim Bergsteigen, Steinschlag hat ihre Hand erwischt.«
    »Na ja«, sagte er zu mir, »ist doch besser als: ›Ich habe meine blauen Schuhe gesucht‹.«
    Im Krankenhaus hatten sie mir zwei Röntgenaufnahmen mitgegeben, und ich in meiner hypochondrischen Art sah sie mir genau an. Ich hielt sie gegen das Licht und bewunderte, wie lang und schlank meine Finger unter den Muskeln und der Haut und allem wirklich waren, und Aidan sah nachsichtig zu.
    »Siehst du diese dünne Linie auf dem Knöchel da«, sagte ich und hielt ihm die Aufnahme vors Gesicht. »Sie ist nicht dicker als ein Haar, aber sie tut so weh.«
    Plötzlich war ich besorgt und sagte: »Sag bloß keinem, dass ich das tue.«
    Ein paar Tage später war er nach der Arbeit vor mir zu Hause – eher ungewöhnlich –, und ich nahm eine gewisse unterdrückte Erregung bei ihm wahr. »Fällt dir nichts auf?«, fragte er.
    »Hast du dir die Haare gekämmt?«
    Dann sah ich es. Meine Röntgenbilder. Sie hingen an der Wand. Gerahmt. In wunderschönen gebürsteten Goldrahmen, als wären es alte Meister und nicht Schwarzweißaufnahmen meiner knochigen Finger.
    Vor lautlosem Lachen musste ich mir den Bauch halten und ließ mich aufs Sofa sinken. Ich konnte nicht mehr stehen. Es war so komisch, und eine Ewigkeit lang brachte ich keinen Ton heraus. Dann, endlich, brach sich das Lachen durch meinen bebenden
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