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Erdbeermond: Roman (German Edition)

Erdbeermond: Roman (German Edition)

Titel: Erdbeermond: Roman (German Edition)
Autoren: Marian Keyes
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Gebüsch zu sitzen, um einen fotografischen Beweis davon zu bekommen, wie die Ehebrecher ihr Liebesnest verlassen. Sie könnte in ihrem schönen, warmen, trockenen Auto sitzen bleiben, aber da schläft sie zu oft ein und kriegt nichts mit.
    »Mum, ich habe solchen Stress«, sagte sie, »kann ich mal ein Valium haben?«
    »Nein.«
    »Mein Hals tut wahnsinnig weh. Ganz schlimm. Ich gehe ins Bett.«
    Weil Helen so viel im feuchten Gebüsch sitzt, bekommt sie oft Halsschmerzen.
    »Ich bringe dir gleich ein Eis, Süße«, erwiderte Mum. »Aber sag mir doch, ich halte es gar nicht mehr aus, hast du den Beweis?«
    Mum findet Helens Arbeit ganz toll, fast so toll wie meine, und das will viel heißen. (Anscheinend habe ich den Fantastischsten Job In Der Welt™.) Manchmal, wenn etwas für Helen sehr langweilig oder sehr beängstigend ist, begleitet Mum sie. Da war zum Beispiel der Fall der verschwundenen Frau. Helen musste in der Wohnung der Frau nach Indizien suchen (Flugschein nach Rio und so weiter, als ob …), und Mum ging mit, weil sie sich zu gern die Häuser anderer von innen ansieht. Sie sagt, es sei erstaunlich, wie schmutzig es bei Leuten ist, wenn sie keinen Besuch erwarten. Für sie ist das eine enorme Erleichterung, weil ihr Haus weit davon entfernt ist, ein Schmuckkästchen zu sein. Weil Mum plötzlich ein Leben hatte, das, wenn auch nur sehr vorübergehend, wie ein Krimi verlief, hat sie über die Stränge geschlagen und versucht, die Tür zu der Wohnung der Verschwundenen mit der Schulter einzudrücken – obwohl, und das kann ich gar nicht genug betonen, Helen den Schlüssel hatte . Und obwohl Mum wusste , dass sie ihn hatte. Die Schwester der Verschwundenen hatte ihn ihr gegeben, und Mum hatte nach ihren Bemühungen lediglich eine ziemlich lädierte Schulter.
    »Es ist nicht wie im Fernsehen«, klagte sie anschließend und massierte sich das Schultergelenk.
    Dann, Anfang des Jahres, versuchte jemand, Helen umzubringen. Insgesamt reagierte die Familie nicht schockiert, weil so etwas Schreckliches passiert war, sondern erstaunt, dass es nicht viel eher passiert war. Dabei handelte es sich eigentlich um gar keinen Mordversuch. Jemand hatte einen Stein durch das Fenster des Fernsehzimmers geworfen, als gerade East Enders lief – wahrscheinlich einer der Teenager aus dem Viertel, der seinem Gefühl jugendlicher Entfremdung Luft machte, aber im nächsten Moment war Mum schon am Telefon und erzählte, jemand wolle Helen »Angst einjagen« und erreichen, dass sie den »Fall niederlege«. Da es sich bei dem »Fall« um einen kleinen Bürobetrug handelte, für dessen Aufklärung Helen von dem Arbeitgeber gebeten wurde, versteckte Kameras aufzustellen, weil er herausbekommen wollte, ob seine Angestellten Druckerpatronen stahlen, schien das eher unwahrscheinlich. Aber warum sollte ich ihnen die Show vermasseln – und nichts anderes hätte ich getan: Die beiden sind so theatralisch, sie fanden es richtig aufregend. Außer Dad, aber das lag daran, dass er die Scherben zusammenfegen und mit Tesafilm eine Plastikplane über das Loch kleben musste, bis der Glaser kam, das war ungefähr sechs Monate später. (Ich vermute, dass Mum und Helen in einer Fantasiewelt leben und denken, dass irgendwann jemand vorbeikommt, der ihr Leben in eine wahnsinnig erfolgreiche Fernsehserie umwandelt, in der sie – das ist ja klar – sich selbst spielen.)
    »Ja, ich habe ihn gekriegt. Ding-dong! Gut, ich gehe jetzt ins Bett.« Aber sie streckte sich auf einem der Sofas aus. »Der Mann hat mich im Gebüsch entdeckt, als ich ihn fotografieren wollte.«
    Mum schlug die Hand vor den Mund wie jemand im Fernsehen, wenn er Besorgnis ausdrücken will. »Nicht so schlimm«, sagte Helen. »Wir haben uns ein bisschen unterhalten. Er hat nach meiner Telefonnummer gefragt. Mistbock«, fügte sie noch mit beißendem Spott hinzu.
    Das muss man Helen lassen: Sie ist schön. Männer, auch die, die sie im Auftrag ihrer Frauen beschattet, sind von ihr eingenommen. Obwohl ich drei Jahre älter bin, sehen wir uns sehr ähnlich: Wir sind klein und haben langes schwarzes Haar, und im Gesicht sehen wir fast gleich aus. Mum verwechselt uns manchmal, besonders, wenn sie ihre Brille nicht aufhat. Aber im Gegensatz zu mir hat Helen eine magische Anziehungskraft. Sie funktioniert auf ihrer ganz eigenen Frequenz, die Männer bannt; vielleicht ist es so wie mit der Trillerpfeife, die nur Hunde hören können. Wenn Männer uns beide kennen lernen, bemerkt man gleich
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