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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon
Autoren: David Ambrose
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Betts saß, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, sich gesetzt zu haben.
    »Es hat einen Unfall gegeben«, sagte Frank. Er klang, als wäre sein Mund völlig ausgetrocknet und als hätte er Schwierigkeiten, die einzelnen Worte hervorzubringen. »Nicht auf dem Flug von Norilsk aus – so weit sind sie gar nicht gekommen. Der Verbindungsflug. Es war eine kleine Maschine, einmotorig. John und die anderen vier aus seinem Team waren an Bord. Und der Pilot. Es sieht so aus, als sei die Maschine irgendwo zwischen Ostjachon und Norilsk verschollen. Man sucht inzwischen nach ihr. Wir haben erst vor einer Stunde von dem Unglück erfahren. Die Leute aus unserer Auslandsabteilung haben mich zu Hause angerufen.«
    Er hielt inne. Eine tiefe Stille senkte sich über Susan. Genauer gesagt: Sie konnte nur Christopher und den kläffenden Hund draußen im Garten hören, die Autos und Menschen auf der Straße. Sie konnte ihr eigenes Herz schlagen hören. Doch abgesehen davon herrschte eine Stille, wie sie sie nie zuvor vernommen hatte: das Schweigen einer unendlichen Leere, eines Universums, das bar all dessen war, was der Liebe und der Sorge um andere Menschen einen Sinn gab, vielleicht sogar bar jeglichen Gefühls. Nichts war von Bedeutung, wenn so etwas geschehen konnte. Nichts spielte dann noch eine Rolle, also auch ihre Gefühle nicht. Konnten sie dann überhaupt real sein?
    »Susan?«
    »Ja, ich bin hier.«
    »Ich bin im Büro. Ich kann in zehn Minuten bei dir sein.«
    »Nein, ich… es ist alles in Ordnung. Ich… wann wird man mehr wissen?«
    Es war eine dumme Frage, auf die er keine Antwort haben konnte, das wusste sie. Doch sie hatte wenigstens etwas gesagt. Es war wichtig, dass sie etwas sagte.
    »Das ist schwer abzuschätzen«, erwiderte er. »Deshalb bin ich hier im Büro. Auf diese Weise können wir am besten in Verbindung bleiben.«
    »Ja, das ist am besten so. Ich… ich werde hier warten… Rufst du mich an, sobald du etwas Neues erfährst?«
    »Selbstverständlich.«
    Susan hatte die Symptome eines Schocks in ihrem ersten Studienjahr gelernt: Das Blut zieht sich aus dem äußeren Gewebe zurück und hinterlässt ein kaltes, feuchtes Gefühl auf der Haut; gleichzeitig sinkt der Blutdruck abrupt ab, und ein schwacher, aber rasender Pulsschlag setzt ein. Man hatte ihr auch gesagt, dass ein emotionaler Schock ebenso starke Symptome hervorzurufen vermag wie der Verlust eines Körperteils. Nun erfuhr sie am eigenen Leib, wie heftig ein rein psychischer Schlag den Körper treffen konnte. Sie wusste auch, dass sie die Panik und den Lähmungszustand, welche darauf folgten, gar nicht erst aufkommen lassen durfte. Sie musste schließlich an Christopher denken.
    Als dieser Susan aus dem Haus kommen sah, rief er nach Buzz, um ihn in den Wintergarten zu bringen. Dem Hund machte es nichts aus, dort für eine Weile alleine mit seinem Spielzeug eingesperrt zu sein. Doch Susan sagte Christopher, er solle Buzz lassen, wo er war. Der kleine Hund könne die wenigen Minuten, die sie brauchte, um Christopher zu Ben zu bringen, im Garten bleiben. Sie würde gleich zurück nach Hause und nicht zum Flughafen fahren.
    »Kommt Daddy denn nicht nach Hause?«, fragte Christopher enttäuscht.
    Sie ging in die Hocke, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein, »Daddy kommt heute nicht nach Hause«, erklärte sie. »Es ist etwas passiert, und deshalb wurde er aufgehalten.«
    »Wann kommt er denn?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber ich möchte, dass du trotzdem wie geplant zu Ben gehst. Ich werde sofort zurückfahren und hier einige Dinge richten – für Daddy. Komm jetzt, lass uns aufbrechen!«
    Die zehnminütige Fahrt mit Christopher an ihrer Seite gehörte zu den härtesten Dingen ihres Lebens. Der Junge spürte, dass etwas nicht stimmte, auch wenn er nicht genau wusste, was, so viel war Susan klar. Gott sei Dank lenkte ihn der Gedanke an die bevorstehende Geburtstagsparty ab. Sie küsste ihn zum Abschied und versprach, dass sie ihn entweder gegen sieben abholen oder aber telefonisch mit Bens Mutter etwas anderes vereinbaren würde. Auf dem Nachhauseweg begannen ihre Hände zu zittern. Susan schlug sie gegen das Lenkrad, um sie wieder zu beruhigen. Nein, sie würde die Kontrolle nicht verlieren! So sehr es sie auch drängte, sich dem Schmerz hinzugeben, sie würde es nicht zulassen. Das wäre zu eigensüchtig!
    Sobald sie wieder zu Hause war, hörte sie den Anrufbeantworter ab. Nichts. Das bedeutete, Frank hatte keine Neuigkeiten. Sie überlegte, ob sie
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