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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon
Autoren: David Ambrose
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ersten Mal begegnete, hatten sich einige von Johns Freunden auf dem College über ihn lustig gemacht und ihn hinter seinem Rücken einen Musterknaben genannt. Aber diese Freundschaften waren nicht zu Bruch gegangen, und im Laufe der Jahre hatte sich der milde Spott, den man John entgegenbrachte, in Respekt und schließlich in Bewunderung verwandelt. Niemand war überrascht gewesen, als er das Praktizieren aufgegeben und sein Wissen in den Dienst einer internationalen Hilfsorganisation gestellt hatte, bereit, für einen Hungerlohn in einigen der gefährlichsten Krisengebieten der Welt zu arbeiten. Er hatte Naturkatastrophen erlebt, Hungersnöte und Epidemien jeder nur erdenklichen Art. Nun, nach zehn Jahren, war er die Nummer zwei in der Organisation, obwohl ihn das nicht davon abhielt, weiterhin hinauszuziehen und sich vor Ort als ein Chef zu erweisen, der selbst Hand anlegte, wo immer es ihm möglich war. Er war ein bemerkenswerter Mann, und vom ersten Tag an hatte Susan gewusst, dass er derjenige war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
    Die Reise nach Russland hatte sich vor zehn Tagen unerwartet ergeben. Eine mysteriöse Grippe – beziehungsweise eine Krankheit, die in ihren Symptomen der Grippe ähnelte – war in einer kleinen Stadt mit dem Namen Ostjachon ausgebrochen, im nördlichen Teil Zentralsibiriens, etwa einhundertfünfzig Kilometer südlich von Norilsk. Sie befiel nur sehr junge und sehr alte Menschen und forderte fünfundzwanzig Todesopfer innerhalb von ein paar Tagen. Die Gefahr, dass die Krankheit sich ausbreiten und zu einer Epidemie werden könnte, durfte man nicht ignorieren. John hatte ohne zu zögern auf den Hilferuf aus Russland reagiert und war mit einem Team von vier Assistenten aufgebrochen.
    Susan wusste, dass John mit dem Verlaut der Reise zufrieden war. Sie hatten fast jeden Tag telefoniert, und obwohl ihn vieles von dem, was er vorfand, bedrückt hatte, konnte er ihr letztendlich doch erleichtert berichten, dass sie die Ursache der Epidemie entdeckt hatten. Es waren Bakterien, die im Dauerfrost eingefroren, nach einem ungewöhnlich warmen Sommer jedoch freigesetzt worden und mutiert waren, nachdem sie mit Abfall aus einer Fischkonservenfabrik am Ufer des Chantajskoje-Sees in Kontakt gekommen waren.
    Das letzte Mal hatten Susan und John am vergangenen späten Nachmittag miteinander gesprochen. Er hatte völlig erschöpft und ein wenig gedankenverloren geklungen und angedeutet, dass er etwas Interessantes erfahren habe, das er nach seiner Rückkehr unbedingt mit ihr besprechen müsse, mehr könne er ihr am Telefon nicht sagen. Sie hatte Christopher für ein paar Minuten den Hörer übergeben. Er liebte es, mit seinem Vater über große Entfernungen hinweg zu sprechen, während er auf dem Globus herauszufinden versuchte, wo genau John sich befand und wo ungefähr der Satellit, der sie miteinander verband.
    Susan würde Christopher nicht mitnehmen, wenn sie John abholen fuhr; ein überfüllter Flughafen mit all seinen Warteschlangen und der allgemeinen Hektik war nicht der richtige Platz für einen Sechsjährigen. Er wäre müde und quengelig, lange bevor sein Vater auch nur einen Fuß auf den Boden setzte. Das Wiedersehen zu Hause würde dafür umso schöner. Außerdem feierte der kleine Ben eine Geburtstagsparty, und Susan hatte vor, Christopher auf ihrem Weg zum Flughafen dort abzusetzen.
    Sie wollte gerade nach unten gehen, um Christopher ins Haus zu rufen, als das Telefon klingelte. Kurz war sie versucht, den Anrufbeantworter anspringen zu lassen, doch ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie noch genügend Zeit hatte. Es war Frank Henty, einer der Männer, die für John arbeiteten.
    »Susan«, sagte er, »ich fürchtete schon, du wärst weg. Gut, dass ich dich noch erwischt habe.«
    Sein Tonfall ließ sie sofort aufhorchen.
    »Ich wollte gerade aufbrechen«, antwortete sie. »Was gibt’s? Ist etwas mit John?«
    Frank zögerte. »Ich glaube, es ist besser, du wartest, bis ich bei dir bin.«
    Ein eiskalter Schauder durchlief Susan. »Raus mit der Sprache! Sofort!«, sagte sie. »Erzähl mir, was passiert ist!«
    Er blieb ausweichend. »Schau, ich hielte es für besser, wenn du nicht alleine wärst. Ist jemand bei dir?«
    »Um Gottes willen, Frank, sag mir einfach, was du zu sagen hast!« Sie wollte sicher und bestimmt klingen, aber ihre Stimme zitterte. Sie schien plötzlich nicht mehr genug Luft zu bekommen, und sie bemerkte, dass sie auf der äußersten Kante des
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