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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge
Autoren: Alison Goodman
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Staatsstreich hatte auch ich mehrmals vom Sonnenpulver gekostet, und zwar in der irrigen Annahme, dass ich mich dadurch leichter mit meinem Drachen vereinen könnte. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall, da die Droge meine weibliche Energie unterdrückte – und meine Periode. Kaum hatte ich das Pulver vor drei Tagen abgesetzt, hatte ich meine Blutung bekommen. Auf ein so starkes Mittel verzichten zu müssen, hatte dem verletzten Ryko gewiss hart zugesetzt. Ich betrachtete die schwere Wolkenbank am Horizont, die zweifellos durch den Aufruhr der Drachen entstanden war, und fröstelte, als die warme Morgenbrise unversehens einem kalten Wind wich. Bald würde es wieder regnen und es würde weitere Überschwemmungen und Erdbeben geben. Und da Lord Ido die anderen Drachenaugen ermordet hatte, ließ sich keine Drachenkraft dagegen ins Feld führen.
    »Tozay besteht darauf, dass wir Ryko zurücklassen und weiterziehen«, setzte Dela leise hinzu, »bevor Sethons Männer kommen.«
    Ihre Kehle krampfte sich vor unterdrücktem Schluchzen zusammen. Sie hatte die große schwarze Perle abgelegt – das Symbol ihres Contraire-Daseins –, die an einer goldenen Sicherheitsnadel oberhalb der Luftröhre an ihrem Hals gehangen hatte. Die durch die Haut gestochene Brosche war zu auffällig, doch gewiss hatte es Dela geschmerzt, das Zeichen ihres Zweiseelentums zu entfernen (wobei dieser Schmerz nichts wäre verglichen mit ihrem Kummer, falls wir gezwungen sein würden, ohne Ryko weiterzuziehen).
    »Wir dürfen ihn nicht zurücklassen«, sagte ich.
    Der stämmige Inselbewohner hatte erbittert gekämpft, um Lord Ido davon abzuhalten, sich meiner Drachenkraft zu bemächtigen. Selbst mit seinen schweren Verwundungen hatte er uns aus dem eroberten Palast in die sichere Obhut des Widerstands geführt. Nein, wir durften Ryko nicht zurücklassen. Aber mitnehmen konnten wir ihn auch nicht.
    Dela schlang die Arme um ihren schmächtigen Körper, als wollte sie ihre Verzweiflung wiegen. Ohne die vorgeschriebene höfische Schminke hatten ihre kantigen Züge etwas Männliches, obwohl in ihren dunklen Augen der Schmerz einer Frau lag – einer Frau, die gezwungen war, zwischen Liebe und Pflicht zu wählen. Ich hatte nie mit solcher Hingabe geliebt. Nach allem, was ich gesehen hatte, brachte das nur Leid.
    »Wir müssen gehen«, sagte sie schließlich. »Ihr könnt hier nicht bleiben, das wäre zu gefährlich. Und wir müssen den Perlenkaiser finden. Ohne Eure Macht kann er Sethon nicht besiegen.«
    Meine in weiblicher Linie auf mich überkommene Macht war die einzige erbliche Drachenaugenmacht im Zwölferkreis. Man erwartete sich viel davon, doch ich hatte noch immer keine Übung darin, keine Kontrolle darüber. Ich strich über das kleine rote Buch, das mit einer lebenden Schnur aus schwarzen Perlen an meinen Arm gebunden war, Perlen, die sich klickend zusammenschoben, wenn ich sie berührte. Immerhin besaß ich das Tagebuch von Kinra, meiner Vorfahrin im Amt des Drachenauges. Jeden Abend versuchte Dela, etwas von der geheimen Frauenschrift zu entziffern, in der es verfasst war. Bisher war sie nur langsam vorangekommen. Das Tagebuch war nicht nur in einer alten Variante dieser Schrift abgefasst, ein Großteil des Textes war zudem noch kodiert. Ich hoffte, Dela würde den Code bald entschlüsseln und von Kinras Vereinigung mit dem Spiegeldrachen lesen. Ich brauchte die Führung und die Erfahrung eines Drachenauges, auch wenn dies nur durch ein altes Tagebuch ging. Und ich brauchte auch Rat. Falls ich meine Kraft darauf verwandte, Kygo zu helfen, seinen rechtmäßigen Thron zurückzuerlangen, brach ich dann nicht den Treueeid? Die alte Vereinbarung verbot es nämlich, Drachenmacht in einem Krieg einzusetzen.
    Ich schob meine Bedenken beiseite und fragte: »Habt Ihr die kaiserliche Verordnung gelesen? Sethon nennt sich schon Drachenkaiser, obwohl die Frist, in der Berechtigte Anspruch auf den Thron erheben können, erst in neun Tagen abläuft.«
    Dela nickte. »Er hat erklärt, beide Söhne des alten Kaisers seien tot.« Ich hörte die Zweifel in ihrer Stimme. »Und wenn es stimmt?«
    »Tut es nicht«, erwiderte ich rasch.
    Wir hatten beide gesehen, wie Großlord Sethon seinen kleinen Neffen und dessen Mutter ermordete. Doch der andere Neffe, achtzehn Jahre alt und der eigentliche Thronerbe, war entkommen. Ich hatte gesehen, wie er in Begleitung seiner Kaiserlichen Garde davongaloppiert war.
    Dela kaute auf ihrer Unterlippe. »Woher wisst Ihr so
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