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Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter

Titel: Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie sehr klein war: selbst hoch aufgerichtet reichte sie ihm kaum bis zur Schulter. Sie war sehr schlank, beinahe dürr, und auf ihren Wangen lagen Schatten, die von einer überstandenen schweren Krankheit, vielleicht auch von Hunger kündeten. Ihr Haar war schwarz wie das des Jungen und unter einem tief in die Stirn gezogenen Kopftuch verborgen. Und wie der Knabe trug sie ein sackähnliches, zerschlissenes Gewand und keine Schuhe.
    Statt Zorn spürte Skar plötzlich beinahe Mitleid — aber nur beinahe. Der Schmerz in seinem Gesicht war ein wenig zu stark, um nicht jeden aufkeimenden Funken von Sympathie für Syrr und ihren Bruder sofort zu ersticken.
    Stöhnend hob er den Arm, preßte die Hand gegen seine schmerzende Wange und musterte Syrr und den Knaben finster. Aber sein Zorn wich mehr und mehr Verwirrung — und dem unguten Gefühl, daß Syrrs verzweifelter Angriff auf ihn mehr als ein Versehen gewesen war. Die beiden mußten eine Menge mitgemacht haben, dachte er. Sie würden einen Mann wie ihn nicht aus purem Übermut angreifen, oder gar, um ihn auszuplündern. Ganz davon abgesehen, daß es bei ihm nicht sehr viel zu plündern gab...
    Skar verharrte mitten im Schritt, sah an sich herab und runzelte die Stirn. »Gib mir dein Kopftuch«, verlangte er.
    Syrr zögerte, aber als er die Hand ausstreckte, hob sie fast erschrocken den Arm, zog das Tuch herunter und reichte es ihm.
    Skar nickte dankbar, faltete es ganz auseinander und knotete es zu einem primitiven Lendenschurz zusammen. Erst danach wandte er sich wieder an das Mädchen.
    »Also«, begann er, noch immer in scharfem Ton, aber lange nicht mehr so grob wie bisher. »Wer seid ihr, und was soll das, mich hinterrücks niederzuschlagen?«
    Syrr antwortete nicht. Ihr Blick glitt über seine Gestalt, blieb an seinem Gesicht hängen und begann unstet durch den Raum zu irren, als suche sie einen Fluchtweg. Skar spürte, wie es in ihr arbeitete. Vermutlich begriff sie allmählich, daß er wirklich nicht zu den Männern gehörte, vor denen sie und ihr Bruder solche Angst hatten. Trotzdem traute sie ihm noch nicht.
    Und wie konnte sie auch? dachte er. Er hatte einen Blick wie den ihren zu oft gesehen, um nicht zu wissen, was er bedeutete: der Blick eines gejagten Tieres, das so lange auf der Flucht gewesen war, daß es schon nicht mehr wußte, was das Wort
Vertrauen
wirklich bedeutete. Dieses Mädchen und ihr Bruder hatten zu viel erlebt, um noch irgendeinem Menschen vorbehaltlos trauen zu können — und schon gar keinem nackten Mann, der unversehens in einer vermeintlich vollkommen leeren Festung vor ihnen auftauchte.
    »Laß den Stein fallen«, sagte er, laut, aber trotzdem beinahe sanft. »Wenn ich das wäre, wofür du mich hältst, wärst du schon lange nicht mehr am Leben, glaube mir. Also —?«
    »Glaub ihm nicht«, sagte der Junge. »Er lügt! Sie lügen immer.
    Er wird uns zurückbringen. Oder gleich hier ermorden.«
    Skar seufzte, drehte sich langsam zu dem Jungen um und trat einen halben Schritt auf ihn zu. Der Junge erbleichte noch mehr, wich aber nicht weiter vor ihm zurück. Seine Hände begannen stärker zu zittern. Er biß sich auf die Lippe, so fest, daß ein einzelner Blutstropfen aus seinem Mundwinkel lief. Aber er wich keinen Zoll vor Skar zurück.
    »Du hast Mut, Kleiner«, sagte Skar. »Aber das allein reicht nicht — siehst du?«
    Der Junge keuchte, als Skar eine schnelle Bewegung machte und plötzlich den Stock in Händen hielt, ohne daß er auch nur recht begriff, wie ihm geschah. Skar schüttelte tadelnd den Kopf, zerbrach den Stecken ohne sichtliche Anstrengung in zwei Teile und warf sie zu Boden. Für einen Moment bereitete es ihm eine absurde Befriedigung, den Knaben so spielend entwaffnet zu haben. Dann begriff er, daß er sich selbst sehr kindisch benahm. »Laß einen Mann niemals so dicht an dich herankommen, daß er dich entwaffnen kann«, sagte Skar. Er lächelte verlegen, obwohl er sich darüber im klaren war, daß es bei seinem geschwollenen Gesicht wohl eher einer Grimasse gleichkam, wandte sich wieder an das Mädchen und deutete auf den Stein in ihrer Hand. »Du scheinst an diesem Ding zu hängen«, sagte er. »Behalte es meinetwegen, aber mach keinen Unsinn damit, ja? Also, Syrr —du und dein Bruder, wer seid ihr? Und was tut ihr hier?«
    »Wir... wir haben uns versteckt«, antwortete Syrr stockend. »Talin und ich sind ihnen entkommen, aber sie haben uns verfolgt, und... und da haben wir die Höhle entdeckt, und...
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