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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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nach der Freischaltung der Seite erhielt ich bereits die erste Rückmeldung; jedoch nicht von Schicksalsgenossen, sondern von einer thüringischen Regionalzeitung, verbunden mit einer Interviewanfrage. Der daraus resultierende Pressebericht im Dezember 2007 glich einem Dammbruch. Betroffene meldeten sich kaum, dafür erhielt ich beinahe im Tagesrhythmus Anfragen von Zeitungen und Zeitschriften sowie regionalen Radio- und Fernsehsendern.
    Rückblickend zweifle ich, ob ich diesen ersten Schritt gewagt hätte, wenn ich die dadurch ausgelöste Lawine auch nur erahnt hätte. Das größte Interesse galt dabei meinem persönlichen Schicksal – doch darauf hatte ich mit diesem Forum eigentlich nicht abgezielt. Ich wollte vielmehr
anderen
eine Plattform bieten und sie dazu anregen, sich ihrer Geschichte zu stellen. Da ich mich dazu jedoch in die Öffentlichkeit begeben hatte, konnte ich sie nun nicht gleichzeitig meiden. So weit wie möglich gab ich allen Interessenten Auskunft und störte mich auch nicht daran, dass sich die Fragen bald zu wiederholen begannen. Im Ergebnis trug diese Medienoffensive immerhin auch dazu bei, das Schicksal und die Sichtweise der Zwangsadoptierten, die zuvor beinahe in Vergessenheit geraten waren, in das öffentliche Bewusstsein zurückzubefördern.
    Die publizistische Aufmerksamkeit kam wiederum meinem Internetportal zugute, auf das ich in jedem Interview hinwies. Mehr noch: Ohne das Medienecho wäre dem Forum wahrscheinlich ein Mauerblümchendasein beschieden gewesen. So aber gingen bald die ersten Suchanfragen bei mir ein, in denen ich häufig auch meine eigene frühere Situation wiedererkannte. Soweit es meine Möglichkeiten zuließen, machte ich mir die Suchanliegen anfänglich persönlich zu eigen. Nur weil ich als Erwerbslose von einem kargen Arbeitslosengeld lebte und meine inzwischen achtzehn und zwanzig Jahre alten Kinder auf eigenen Beinen standen, war es überhaupt praktizierbar, diese Tätigkeit ehrenamtlich auszuüben. In Absprache mit den Antragstellern begann ich anhand ihrer Angaben zu recherchieren. Ich glich die gesuchten Namen mit den verfügbaren Verzeichnissen ab, hielt in den verschiedenen sozialen Netzwerken im Internet Ausschau nach den Vermissten oder suchte mir aus dem Telefonbuch eine Übersicht aller gleichnamigen Personen in der jeweiligen Region zusammen. Falls die Anzahl der Namensträger überschaubar blieb, telefonierte ich diese Liste dann, in der Hoffnung auf einen Treffer, in mühsamer Kleinarbeit durch.
    Die größten Erfolgsaussichten versprach jedoch weiterhin der klassische Weg über die Behörden und Adoptionsvermittlungsakten. In den meisten Fällen genügte es, mit Ratschlägen und Rechtshinweisen die Suchenden quasi auf das richtige Gleis zu hieven. Ab und zu übernahm ich selbst die Kontaktaufnahme, gelegentlich auch den Briefverkehr mit Ämtern oder Angehörigen, wenn die Betroffenen den Kontakt scheuten.
    Ich hatte mich vollkommen unbedarft in dieses Abenteuer gestürzt, ohne vorherzusehen, welchen Widerhall meine Homepage auslösen könnte. Zu Beginn erreichten mich etwa ein bis zwei Anfragen pro Woche, doch schon kurze Zeit später meldeten sich durchschnittlich dreißig, in Spitzenzeiten sogar bis zu sechzig Interessenten im Monat. Dieser Ansturm war irgendwann nicht mehr nebenbei zu bewältigen; häufig kam ich auf eine Arbeitszeit von mehr als vierzig Stunden pro Woche, und auch die Abende oder Wochenenden blieben nicht verschont.
    Der Zeitaufwand machte mir indes wenig aus. Ich war ja dankbar, dass ich endlich aktiv werden durfte. Jeder ausgefüllte Suchantrag zeigte, wie groß der Bedarf für eine solche Plattform war, und bestätigte mich darin, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Diese Tätigkeit erfüllte mich mit großer innerer Freude, besonders wenn sie Erfolge erzielte. Der Trägerverein Hilfe für die Opfer von DDR -Zwangsadoptionen e.V. (OvZ- DDR ), den ich im Februar 2008 mit Gleichgesinnten, Betroffenen und Interessierten gründete, sollte meinem Anliegen eine breitere Basis verschaffen, um mich rechtlich abzusichern und Unterstützung zu erhalten.
    Am intensivsten nahmen mich die langen Telefongespräche in Anspruch. Von Beginn an geriet ich dabei schnell in die Rolle einer Beraterin. Viele Betroffene zeigten ein großes Bedürfnis, endlich das aussprechen zu können, was ihnen schon so lange auf der Seele lag, besonders wenn sie eine ähnliche Entwicklung wie ich durchlebt hatten. Immer wieder bekam ich diesen einen Satz
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