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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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durchleiden Krisen, scheitern in ihrem Leben. Viele überwinden ihre Hemmungen erst dann, wenn die seelische Last ihre Ängste übersteigt.
    Andere Anrufer sind bereits seit geraumer Zeit auf der Suche nach ihrer Ursprungsfamilie, allerdings vergeblich. Manchmal geraten die Nachforschungen ins Stocken, weil die Suchenden keine Vorstellung haben, wer ihre leiblichen Eltern sind und wen sie nach ihnen fragen könnten.
    Genau wie ich selbst lange Zeit, so wissen Adoptierte oft nicht, dass sie ein gesetzlich verankertes Recht haben, Informationen über ihre Herkunft zu erhalten und Einzelheiten über die Hintergründe ihrer Adoption zu erfahren. Auf dem Standesamt dürfen sie nicht nur ihre Geburtsurkunde, sondern auch ihren Geburtsregisterauszug einsehen, auf dem die Einzelheiten über die Adoption und die Namen der leiblichen Eltern vermerkt sind. Einen noch ausführlicheren Einblick bieten die Adoptionsvermittlungsakten, die in den zuständigen Adoptionsvermittlungsstellen der Jugendämter aufbewahrt sein sollten.
    Nach meinen Erfahrungen zeigen sich die zuständigen Sachbearbeiter überaus hilfsbereit bei der Familienzusammenführung. Vereinzelte Klagen über Behördenwillkür und überzogenen Datenschutz rühren meist aus der Nachwendezeit, als es auf diesen Posten noch etliche Mitarbeiter gab, die diese Tätigkeit schon zu DDR -Zeiten versehen hatten.
    Doch selbst die Angaben aus dem Geburtsregister garantieren nicht, dass die leiblichen Eltern, etwa nach häufigen Umzügen oder Namenswechseln, noch auffindbar sind. Manche Spuren hat schlicht die Zeit verwischt. Gelegentlich kommt es auch vor, dass Adoptiveltern die Nachforschungen erschweren und das Informationsrecht missachten. Auf diese Weise verwehren sie ihren angenommenen Kindern jedoch mitunter überlebensnotwendige Hinweise, etwa über Erbkrankheiten in der Familie. Außerdem gibt es einzelne Adoptivkinder, die nie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie andere Eltern haben, und die bis heute der oft arglistigen Täuschung erliegen, von ihren Adoptiveltern abzustammen. Gelegentlich sind auch die neuen Eltern im Unklaren über die wahren Details der Kindesvermittlung. Es kommt immer wieder vor, dass die staatlichen Stellen bewusst verschweigen, welches die wahren Hintergründe der Adoption sind.
    Umgekehrt gerate ich auch immer mal wieder mit Adoptiveltern in Kontakt, denen gar nicht an einer Aufklärung der Vorgeschichte gelegen ist. Mitunter mag dabei die Befürchtung eine Rolle spielen, dass dieses Wissen ihnen ihre angenommenen Kinder entfremden könnte. So schrieb mich einmal ein Mann an und verlangte kategorisch, die Suchanfrage seiner Adoptivtochter zu löschen. Ich lehnte dieses Ansinnen ab, verwies auf die Volljährigkeit der Frau und ihr Recht, ihre Herkunft zu kennen. Aus seiner Antwort ging hervor, dass seine Frau ihr eigenes Kind kurz nach der Geburt verloren hatte. Nun sorgte er sich, dass die Tochter, die den Verlust seinerzeit ersetzen sollte, seine Frau und ihn ebenfalls verlassen könnte.
    Daher möchte ich an dieser Stelle eindringlich an alle Adoptiveltern appellieren, ihrer Pflicht und Verantwortung nachzukommen und ihr Kind über seinen Adoptivstatus aufzuklären. Ich kann gut verstehen, dass dieser Schritt Verlustängste auslöst. Doch wenn die Adoptiveltern dem betroffenen Kind diesen Schritt verweigern, wird es irgendwann über einen anderen Weg erfahren, dass es auch leibliche Eltern hat. Damit riskiert man einen enormen Vertrauensbruch und im Extremfall den totalen Bruch mit dem adoptierten Kind.
    Immer wieder muss ich Überzeugungsarbeit leisten und um Verständnis werben, wie existenziell wichtig es für jeden Menschen sei, Klarheit über seine ursprüngliche Identität zu erhalten. Dieser Schritt ist ungemein wichtig, auch wenn es den idealen, den einzig richtigen Moment dafür nicht gibt. Gelegentlich bekomme ich in diesen Gesprächen äußerst abwertende Urteile über die leibliche Mutter zu hören. Ich warne stets vor vorschnellen Urteilen und versuche den Anrufern auseinanderzusetzen, dass nach meinen Erfahrungen keine Mutter ihr Kind ohne äußeren Druck oder Gewissensqualen hergibt. Selbst eine angeblich freiwillige Unterschrift unter die Freigabe zur Adoption ist in keinem Fall ein leichtfertiger Federstrich. Was diesem Schritt wirklich vorausgegangen ist, das findet sich in keinem Behördendokument, einzig und allein die leibliche Mutter kann das beschreiben.
    Auch für die Eltern, denen die DDR einst ihre Kinder
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