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Entfuehrung nach Gretna Green

Titel: Entfuehrung nach Gretna Green
Autoren: Karen Hawkins
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sehr ernsten Grund geben. Er war ihr engster und liebster Freund. Wenn er in Schwierigkeiten war, gehörte sie an seine Seite, um ihm zu helfen und ihn zu unterstützen. Das war, zusätzlich zu ihrer Sorge um ihre Mutter, ein weiterer Grund, so rasch wie möglich aus diesem Schlamassel herauszufinden.
    Ganz sicher hatte Papa stark übertrieben, was den Ernst von Mamas Lage anbelangte. Papa gelang es sogar, das Leben an sich als etwas darzustellen, das ausschließlich aus Verzweiflung und Nöten bestand.
    Schon oft hatte Venetia sich gewünscht, ihre Familie wäre nicht ganz so melodramatisch. Zum Glück lachte Gregor regelmäßig über die Auftritte ihrer Eltern, was ihr half, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und die Lage realistisch zu sehen.
    Sie lächelte vor sich hin, tätschelte den Pferdehals, über den sie gebeugt saß und sagte in das dunkle Ohr vor sich: „Gregor hat einen scharfen Verstand. Leider verletzt er Menschen damit ebenso oft, wie er ihnen hilft.“ Nicht dass ihr das jemals etwas ausgemacht hätte, denn sie konnte sich gegen ihn behaupten. Davon abgesehen, genoss sie Gregors Gesellschaft. Er war ein draufgängerischer Reiter, der es an Schnelligkeit und Mut mit ihr aufnehmen konnte, hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, der meistens mit ihrem eigenen übereinstimmte, und verfügte über einen wachen Geist, dem so leicht nichts entging. Am wichtigsten aber war, dass er niemanden zwang, leerem Geschwätz zuzuhören. Wenn er etwas zu sagen hatte, sagte er es. Wenn nicht, war er ab und an vollkommen zufrieden mit einem entspannten Schweigen.
    Sie empfand es nicht gerade als störend, dass er erstaunlich, unglaublich, geradezu schmerzhaft gut aussah, trotz der auffälligen Narbe, die quer über seine Wange bis zu seinem Kinn verlief. Eine von Venetias Freundinnen hatte ihr vor einiger Zeit gestanden, sie habe einen Traum gehabt, in dem sie mit den Fingerspitzen an dieser Narbe entlanggestrichen war, während sie Gregor geküsst hatte. Was für ein dummer Traum, stellte Venetia bei sich fest, während gleichzeitig eine seltsame Wärme ihren Körper durchflutete.
    Endlich erkannte sie durch den dicht fallenden Schnee vage die Umrisse eines Gebäudes. Erleichtert trieb Venetia das Pferd an, und schon bald trabten sie zwischen den steinernen Pfosten in den Hof. Mit seinen beschlagenen Fenstern, an denen innen weiße Seidenvorhänge befestigt waren, und dem dichten Rauch, der aus allen Schornsteinen aufstieg, wirkte der zweistöckige Gasthof äußerst behaglich.
    Als sie sah, dass der Reitknecht, die Augen vor Staunen weit aufgerissen, bereits vom Stall her auf sie zueilte, schwang sich Venetia vom Pferd. Innerhalb kürzester Zeit stand sie auch schon im großen Gastraum neben einem warmen Feuer, hielt eine Tasse heißen Tee in ihren eisigen Händen und erzählte den Eigentümern des Gasthauses, Mr. und Mrs.Treadwell, ihre Geschichte.
    Erleichtert vernahm Venetia, dass es noch zwei freie Zimmer gab; das dritte Gastzimmer bewohnten eine Witwe und ihre Begleiterin. Kaum hatte Venetia die umgestürzte Kutsche erwähnt, da machte Mr.Treadwell, ein kleiner, untersetzter Mann mit fröhlich funkelnden Augen, sich auf den Weg, die übrigen Insassen und das Gefährt zu retten, ohne sich damit aufzuhalten, nach weiteren Einzelheiten zu fragen.
    Mrs. Treadwell, eine große, hagere Frau mit widerspenstigem grauen Haar, das sie zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt trug, ließ sich sofort ausführlich darüber aus, wie reizend es war, so viele Gäste unter ihrem bescheidenen Dach beherbergen zu dürfen. Sie beäugte Venetia von oben nach unten und schien dabei den Wert des Umhangs aus Hermelin und den Preis der weichen Rehlederhandschuhe zusammenzuzählen. „Sie müssen direkt aus London kommen, so fein, wie Sie gekleidet sind.“
    „Ja, das sind wir. Wir haben ...“
    „Wir?“
    „Ja, ich und ...“Venetia runzelte die Stirn, weil ihr plötzlich auffiel, wie merkwürdig es erscheinen musste, dass sie allein mit einem einzelnen Mann reiste. „Mein ... äh ... Bruder und ich sind unterwegs zum Haus meiner ... unserer Großmutter.“ Mrs. Treadwell machte ein erleichtertes Gesicht. „Ich bin froh, das zu hören. Mr. Treadwell und ich möchten natürlich niemanden abweisen, schon gar nicht während eines Unwetters wie diesem, aber wir würden trotzdem keinem dieser durchgebrannten Paare, von denen so viele auf dieser Straße unterwegs sind, Unterschlupf gewähren.“
    „Wieso kommen hier
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