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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt
Autoren: Cate Tiernan
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Genua geboren worden und war eine Zeit lang sehr, sehr dunkel (magisch gesehen). Heute war River einer der besten Menschen, die ich kannte. Ich konnte nur hoffen, dass ihr Bruder ebenfalls solche Entwicklungssprünge gemacht hatte. »Was für eine Überraschung!«, rief River aus. Die beiden umarmten sich und küssten einander auf die Wangen - auf beide Seiten, wie es viele Südeuropäer tun. »Wieso um alles - wieso hast du nicht gesagt, dass du kommst?« Sie trat zurück und sah ihn prüfend an. »Ist alles in Ordnung?«
      Ottavio nickte und wieder fiel mir seine strenge Schönheit auf, die Perfektion seines Körpers, der mich an eine römische Statue erinnerte, und die feinen Fältchen um seine Augen. »Mir geht's gut«, sagte er. Dann zeigte er auf mich. »Ich bin wegen ihr gekommen. Sie sollte nicht hier sein.«
      Ich machte große Augen. Sehr nett. So viel zum Thema italienischer Charme.
      River blinzelte verblüfft und warf mir einen Blick zu. »Bitte entschuldige uns einen Moment«, murmelte sie.
      Ich rang mir ein verkniffenes Lächeln ab, verzog mich ins Esszimmer und von dort nach draußen, wo ich mich fragte, was zum Teufel Ottavio damit gemeint hatte.
      Und jetzt? Es war natürlich kalt hier draußen und ich hatte keine Jacke. Mein Blick fiel auf das Stallgebäude auf der anderen Hofseite und ich ging darauf zu.
      Drinnen hörte ich Anne in ihrem Klassenzimmer vor sich hin summen. Vermutlich genoss sie ihre Nastasja-freie Zeit. Ich straffte meine Schultern und klopfte.
      »Hi.« Anne schien überrascht, mich zu sehen.
      »Hi«, antwortete ich verlegen. »Ich dachte ... wenn du Zeit und Lust hast ... könnten wir vielleicht mit der Kräuterkunde weitermachen?« Bitte sag nicht nein. Bitte sag nicht, dass du die Nase voll von mir hast.
      Anne sah mich an, als würde sie ihre Optionen abwägen. »Natürlich. Gern. Setz dich.«
      »Ich weiß, dass ich noch besser werden muss. Und ... ich will nicht zurück ins Haus«, gestand ich. Es frei herauszusagen statt irgendwelcher Ausflüchte, war ein weiterer Fortschritt, der so offensichtlich war, dass man ihn nicht erst mit der Lupe suchen musste. »Rivers Bruder Ottavio ist gekommen.«
      Annes Überraschung schlug in Verblüffung um. »Ottavio! Hier?«
      Ich nickte. »Und er hasst mich jetzt schon. Obwohl er gerade erst angekommen ist. Meistens muss ich wenigstens mit den Leuten reden oder so, bevor sie mich hassen.«
      »Hm«, machte Anne nachdenklich. »Sehr merkwürdig.« Ja. Ganz meine Meinung.

3
 
      In meinem Leben musste ich schon: mich vor blutrünstigen Nordmännern verstecken; mir einen Weg durch pockenverseuchte Leichen bahnen, um eine Stadt zu verlassen; mit einem gestohlenen Pferd vor einer Flutwelle fliehen; Männer erschießen, die mich während des Goldrauschs ausrauben wollten; einen wilden Eber töten, der mich angriff (ich hatte gerade mal einen lausigen Speer und eine Handvoll Steine); mich aus etlichen haarigen Situationen herauslügen - mit immer neuen gefälschten Papieren und Identitäten; und nach River's Edge zurückkehren, nachdem ich mit Innocencio durchgebrannt und fast von ihm umgebracht worden war.
      Und nach allem, was ich durchgemacht hatte - wieso verknotete mir die Aussicht, beim Abendessen auf Ottavio zu treffen, dann so den Magen?
      Vielleicht, weil man mich hier kannte. Nach vier Monaten waren die Leute in River's Edge keine Fremden mehr, die ich mit ein paar Lügen täuschen konnte. Außerdem bedeuteten sie mir etwas. Ich ... ich wollte nicht, dass sie schlecht von mir dachten.
      Und dass der düstere, strenge und selbstgerechte Ottavio ausgerechnet jetzt auftauchte und mich mit einem Fußtritt an die Luft befördern wollte, wo ich mich endlich halbwegs zu Hause fühlte - das war echt Mist.
      Schon auf halbem Weg die Treppe hinunter konnte ich Rachels Brot riechen und irgendwas mit Huhn. Wir aßen oft vegetarische Mahlzeiten und die Aussicht auf echtes Huhn beschleunigte meine Schritte.
      Ich blieb an der Tür kurz stehen und rutschte dann möglichst unauffällig auf den letzten freien Platz der langen Holzbank. »Hey, Nas.« Annes jüngere Schwester Amy saß neben mir. Obwohl sie in Reyn verknallt war, musste ich sie einfach gernhaben. Sie schien begriffen zu haben, dass Reyn und ich irgendwie aufeinander standen (normalerweise, also zurzeit gerade nicht so), und hatte sich taktvoll zurückgezogen. Was sehr erwachsen von ihr war. Ganz anders als bei Nell, einer anderen Verehrerin von
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