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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung.
Autoren: Marlene Streeruwitz
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schloss die Augen. Das Drehen verstärkte sich. Eine Lichtscheibe drehte sich hinter den Augen. In den Augen unten. Sie riss die Augen auf. Sie hatte sich an der Bank festgehalten. Ein Jammerlaut. Sie stöhnte. Das war alles unfair. Sie hatte um ihr Weiterkommen kämpfen wollen. Hier. Und nicht um das Überleben. Sie konnte sich nicht vorstellen weiterzugehen. Sie sollte wirklich über die Straße gehen und Hilfe holen. Sich an das daycare center wenden. Die wussten da. Wie man mit Leuten wie ihr verfuhr. Wohin man die einlieferte. Sie musste nur zugeben, traumatisiert zu sein. Dann würde alles seinen Lauf nehmen. Sie musste nur gestehen, was sie alles nicht konnte, und dann würde sie es tun müssen. Widerwillig verächtlich würde man warten, bis sie sich überwinden konnte, in einen Krankenwagen zu steigen. Die Verachtung würde sie hineintreiben, und dann musste sie es aber doch selber aushalten. Und nicht die. Sie würden sie niederspritzen. Beruhigen. In Wien würden sie das tun. Als Vorstufe zum Polster über dem Mund. In Wien gab es viele Vorstufen. In Wien brachte man es sogar fertig, Avantgarde und Pornographie zu solchen Vorstufen im Ersticken zu machen. Dorthin durfte sie nicht zurück. Sie schaute auf. Auf der elektronischen Anzeigetafel der Buslinie blinkte eine Anzeige. »No service available on this line.« Sie stand auf. Als hätte sie auf diesen Bus gewartet, stand sie auf und ging weg. Folgsam. Sie ging nach links hinten. Sie ging den kleinen Hügel auf der anderen Seite hinunter. Die Richtung schien ihr zu stimmen. Südwesten. Die Sonne stand links von ihr. Aber sie konnte sich die Himmelsrichtungen gar nicht vorstellen. Einen Augenblick war sie nicht einmal sicher, ob das Süden war, wo die Sonne stand. Oder in welche Richtung die Sonne zog. Vielleicht war sie die ganze Zeit nach Osten gegangen. Sie konnte keinen Zusammenhang herstellen, wo die Sonne stand und wo sie war und was das bedeutete. Sie ging dahin. Sie konnte das nicht überlegen. Wenn sie darüber nachdenken wollte. Wenn sie genauer nachdenken wollte, wo sie war. Genau. Wo genau sie sich befand. Dort, wo sie das denken sollte, da war alles grau. Wolkig nebelig dunkelgrau. Ein filziges nebliges dunkles Grau war das. Zur gleichen Zeit hatte sie das sichere Gefühl, zu Sebastian zu finden. Den sanften Hügel hinunter Backsteinhäuser. Graue Steinhäuser. Sie geriet in verwinkelte schmale Straßen. Die Fronten der Häuser grenzten an die gepflasterte Straße. Es kam ihr heimatlich vor. Heimatlicher. Nicht diese riesigen Wohnzimmerfenster. Auslagenscheiben. Hier Vorhänge vor den Fenstern. Die Fassaden glatt. Die Dachrinnen außen. Solche Dachrinnen gab es im Salzburgischen auch außen an den Fassaden. Die Häuser hier schienen älter zu sein. Vorviktorianisch. Die Haustüren mit mehreren Schlössern gesichert. Keine Autos. Sie ging. Kurz dachte sie, sie wäre im Kreis gegangen. Sie dachte, sie hätte das Haus mit rot und weiß gestrichenen Fensterläden schon gesehen. Es sah mittelalterlich aus. Die Fensterläden schräg rot und weiß lackiert und geschlossen hätten sie ein Rautenmuster ergeben. So waren Fensterläden von Burgen angemalt. Es musste mehrere Häuser mit solchen Fensterläden geben. Sie kam auf einen kleinen Platz und von da gelangte sie auf eine stark befahrene Straße. Es war ihr niemand begegnet. In den winkeligen Gässchen. Es war still da gewesen. Der Stadtlärm weit weg. Der tobende Lärm. Die vielen Menschen auf den Gehsteigen. Die Autos fuhren schnell. Die Straße schien unüberquerbar. Die Autos fuhren in beiden Richtungen schnell und dicht hintereinander. Die Menschen gingen eilig. Überholten einander. Selma hielt sich an den Auslagen und Hauswänden. Sie war froh, den Rucksack vorne zu tragen. Die Gefahr angerempelt zu werden nicht so groß. Der Mann stand vor den Auslagenfenstern eines Restaurants. Einer Bar. Selma musste zwischen ihm und der Auslage durchgehen. Der Mann. Er war schwarz. Kurze klein geringelte Locken. Graue Fäden machten das Schwarz der Haare matt. Ließen die Locken struppig aussehen. Er war bloßfüßig. Die Haut des ganzen Körpers war mit etwas Hellgrauem überzogen. Mehl. Asche. Der Mann trug einen Lendenschurz. Der weiße Stoff so grau gefärbt wie die Haut. Im Gesicht trug der Mann eine blaue Bemalung. Auf weißem Grund waren unter den Augen breite hellblaue Streifen gemalt. Der Mann stand mit ausgestreckter Hand. Er hielt den Menschen hinter der Auslagenscheibe etwas hin. Zwei Frauen
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