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Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)

Titel: Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Autoren: Nancy Mitford
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keinen Fall zeigen. Als sich der Lärm gelegt hatte und ich mit Gebäck und einer Tasse Tee versorgt war, fragte sie: »Wo ist Brenda?« Brenda war meine weiße Maus.
    »Sie hat einen Ausschlag am Rücken bekommen und ist gestorben«, sagte ich.
    Tante Sadie sah besorgt zu Linda hinüber.
    »Bist du auf ihr geritten?«, meinte Louisa spitz.
    Matt, der kürzlich in die Obhut einer französischen Gouvernante gekommen war, erklärte, indem er deren affektierte, fistelnde Sprechweise imitierte: »C’était, comme d’habitude, les voies urinaires.«
    »Aber Liebes«, meinte Tante Sadie leise im Flüsterton.
    Gewaltige Tränen kullerten auf Lindas Teller. Niemand weinte so viel und so oft wie sie; alles, aber besonders alles Traurige, das mit Tieren zusammenhing, konnte sie zum Weinen bringen, und wenn sie einmal angefangen hatte, war es ziemlich schwierig, sie wieder zu beruhigen. Sie war ein feinfühliges, aber auch ein äußerst nervöses Kind, und selbst Tante Sadie, die sich wegen der Gesundheit ihrer Kinder sonst überhaupt keine Gedanken machte, war sich darüber im Klaren, dass das viele Weinen Linda nachts den Schlaf raubte, ihr den Appetit nahm und ihr durchaus nicht zuträglich war. Die übrigen Kinder, vor allem Louisa und Bob, die gerne andere hänselten, gingen bei ihr so weit, wie sie sich getrauten, und wurden von Zeit zu Zeit bestraft, weil sie sie zum Weinen gebracht hatten. Bücher wie Black Beauty, Owd Bob, The Story of a Red Deer und alle Werke von Thompson Seton standen im Kinderzimmer auf dem Index – wegen Linda, die von ihnen irgendwann einmal zutiefst erschüttert worden war. Man musste sie verstecken, denn wenn sie herumlagen, war Linda nicht zu trauen, und es konnte geschehen, dass sie sich einer Orgie von Selbstquälerei überließ.
    Die freche Louisa hatte sich ein Gedicht ausgedacht, das jedes Mal unweigerlich Tränenfluten auslöste:
    Ein Streichholz, obdachlos und schwach,
    hat weder Haus noch Fach,
    es liegt allein, ganz still und klein,
    das Streichholz, obdachlos und schwach.
    Wenn Tante Sadie nicht in der Nähe war, stimmten die Kinder dieses Liedchen zuweilen in einem düsteren Chorgesang an. Je nachdem, in welcher Stimmung Linda war, brauchte man eine Streichholzschachtel nur anzusehen, und schon begann die Arme sich zu verflüssigen; fühlte sie sich aber kräftiger und dem Leben eher gewachsen, dann lösten solche Scherze bei ihr ein unwillkürliches Lachen aus, das sich seinen Weg direkt aus ihrem Bauch nach außen bahnte. Linda war nicht nur meine Lieblingscousine, sondern damals und noch viele Jahre lang der Mensch, den ich überhaupt am liebsten hatte. Ich bewunderte alle meine Cousinen, aber in Linda waren geistig wie körperlich alle Vorzüge und das ganze Wesen der Familie Radlett vereinigt. Ihre klaren Züge, ihr glattes braunes Haar und die großen blauen Augen bildeten ein Thema, zu dem die Gesichter der anderen eine Variation lieferten; hübsch waren sie alle, aber keines so ganz und gar unverwechselbar wie das ihre. Dabei hatte sie etwas Wütendes an sich, auch wenn sie lachte, und sie lachte viel, allerdings immer so, als werde sie gegen ihren Willen dazu gezwungen. Irgendetwas an ihr erinnerte an Bilder des jugendlichen Napoleon, eine Art von grollendem Ungestüm.
    Ich spürte, dass ihr die Sache mit Brenda viel näher ging als mir. In Wirklichkeit waren meine Flitterwochen mit der Maus längst vorüber; unsere Beziehung hatte ihren Reiz verloren und kümmerte dahin wie eine alte Ehe, und als sie den ekelhaften Ausschlag auf dem Rücken bekommen hatte, gelang es mir eben noch, den Anstand zu wahren und sie mit der gebotenen Menschenfreundlichkeit zu behandeln. Abgesehen von dem Schock, der einen immer trifft, wenn man morgens jemanden steif und kalt im Käfig findet, war ich im Grunde sehr erleichtert, als Brendas Leiden endlich ein Ende hatten.
    »Wo ist sie beerdigt?«, knurrte Linda wütend und blickte dabei auf ihren Teller.
    »Neben dem Rotkehlchen. Sie hat ein hübsches kleines Kreuz bekommen, und ihren Sarg habe ich mit rosa Atlas ausgelegt.«
    »Hör mal, Linda, Liebes«, sagte Tante Sadie, »wenn Fanny mit ihrem Tee fertig ist, könntest du ihr doch deine Kröte zeigen.«
    »Die ist oben und schläft«, meinte Linda, aber sie hörte auf zu weinen.
    »Wie wäre es mit einer Scheibe von dem leckeren warmen Toast?«
    »Bekomme ich Gentleman’s Relish darauf?« Sie beeilte sich, aus Tante Sadies Stimmung Kapital zu schlagen, denn eigentlich war Gentleman’s
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