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Engelsleid (German Edition)

Engelsleid (German Edition)

Titel: Engelsleid (German Edition)
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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darüber hatte man ihm auf Nachfrage mehrfach verweigert. Ein streng dreinbl i ckender Cherubim hatte ihn jedes M al knapp zurechtgestutzt. G e dulden solle er sich. Wenn ER es für angeraten erachte, seine Bemühungen anzuerke n nen, dann werde ER sich gewiss bei ihm melden.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, über den Wolken dahin treibend, zog es Azaradeel zu einem Ort in Deutschland, an dem er zuletzt vor über zwanzig Jahren gewesen war. Als er herunterschwebte und von den Menschen unbemerkt in der Se i tenstraße der Fußgängerzone landete, wurde es ihm schlagartig klar und seine Muskeln verkrampften sich.
    Seine Flügel verbergend , ging er zu Fuß weiter. Vieles war unverändert geblieben. Da oder dort war eine Baulücke geschlo s sen worden, eine Fassade hatte einen neuen Anstrich erhalten, Bäume waren gewachsen. Mühelos fand er die Straße, in der Marion gewohnt hatte. Was sie wohl sagen wird, wenn ich plöt z lich bei ihr auftauche? Es ist Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal ges e hen haben. Während ich mich äußerlich nicht verändert habe, wird sie sich inzwischen gegen die ersten grauen Strähnen die Haare fä r ben.
    Es wäre klüger gewesen, sich zuerst mittels seines Fernrohr e s auf den aktuellen Stand zu bringen. Doch dafür war es nun zu spät. Sekundenschnell hatte Azaradeel die Klingelschi l der der Mie t wohnungen studiert und erkannt, dass eine Frau mit dem gesuchten Nachnamen nicht hier wohnte.
    Ein dumpfes Knurren entfuhr Azaradeels Kehle. Eifersucht regte sich in ihm. Damals hieß Marion mit Familiennamen Winterle. War es denkbar, dass sie sich neu verliebt, einen and e ren Mann geheiratet hatte und fortgezogen war? Unvorstellbar!
    Du bist ein Vollidiot. Wieso hätte sie das nicht tun sollen? Du bist der Trottel, der sie verlassen hat. – Aber doch nur, weil ich sie und das Kind schützen wollte. – Und du bildest dir ein, das hat sie dir abgekauft? Die höhnischen Stimmen seiner nie ve r siegten Liebe und seines Pflichtgefühls lieferten sich in Azar a deels Kopf einen kämpferischen Wettstreit.
    Eine ältere Dame von kleinem Wuchs und mit weißen Haaren näherte sich, einen schäbigen, oberflächlich verkratzten Stock in der einen Hand, einen Einkaufswagen an der and e ren. Dieser war so voll beladen, dass sie sich anstrengen musste, ihn hinter sich herzuziehen.
    » Suchen Sie jemanden? « Ihre Stimme klang altersgemäß dünn. Misstrauisch muste rte sie ihn von oben bis unten.
    In seiner schwarzen Lederkleidung und bei seiner Größe wir k te er kaum v ertrauenerweckend. Er beugte sich zu der Alten he r ab. » Guten Tag. Kennen Sie Frau Winterle? Wohnt sie noch hier? «
    » Frau Winterle? «
    » Ja, genau. «
    » Was wollen Sie denn von ihr? « , krächzte die Frau und kniff die Augen zusammen, was ihr einen steche n den Blick verlieh.
    » Ich bin ein Verwandter und habe lange im Ausland gelebt. Dabei haben wir leider den Kontakt z ueinander verloren. «
    » Die hat mal hier gewohnt. Das stimmt. « Die Alte machte eine bedauernde Bewegung und hielt für einen Augenblick inne, als zögerte sie noch, ihm Auskunft zu erteilen.
    » Aber da kommen ʼ s leider zu spät, Herr … «
    » Tiemann, Tim Tiemann « , er widerte Azaradeel mit einem aufmunternden Lächeln, bei dem die Leute ihm normalerweise gerne alles erzählten, was er wissen wollte.
    » Nun, Herr Tiemann. Die Frau Winterle ist schon seit vielen Jahren fort . «
    Aha, Marion war also in eine andere Wohnung gezogen. Az a radeel betrachtete das von Altersfalten durchfurchte und von ku r zen, fast weißen Haaren umgebene G e sicht genauer. Nur ein Mal waren sie beide sich auf der Treppe begegnet. Wie sehr Me n schen sich im Laufe ihres Lebens veränderten, ganz im G e gensatz zu Engeln.
    Die Alte zog die Stirn in Falten und überlegte. Hoffentlich ha t te sie damals erfahren, wohin Marion gehen wollte, und erinnerte sich noch daran. Das würde ihm seine Suche erleichtern. Denn obgleich er über herausragende Fähigkeiten verfügte, gehörte dazu nicht die Macht, verschwundene Menschen mit Leichtigkeit aufzuspüren. Allerdings machte die Frau auf ihn nicht den Ei n druck, als wäre ihr Geist noch sehr rege.
    » Ach ja , und jetzt fällt’s mir wieder ein. Ich wusste doch, es war etwas Tragisches. « Ihre Miene verfinsterte sich. » Irgendj e mand hat mir erzählt , dass sie g e storben ist. Aber wer? «
    Sein Herz setzte für einen kurzen Augenblick aus. Mit allem Möglichen hatte er gerechnet. Heirat, weitere Kinder, ja,
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