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Engelsfuerst

Engelsfuerst

Titel: Engelsfuerst
Autoren: Joerg Kastner
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kann ich es aber
erst sagen, wenn ich den Schädel geöffnet habe.«
»Also ist er erschlagen worden?« hakte Donati nach.
»Die Kopfwunde allein beweist das nicht. Er könnte ebensogut gestürzt sein.«
»Ein Unfall?«
»Könnte man meinen, wenn es nur die Kopfwunde
gäbe. Aber sehen Sie hier, Druckspuren an den Oberarmen, was darauf schließen läßt, daß er gegen seinen
Willen festgehalten wurde. Die Druckspuren sind
noch nicht alt, müssen ungefähr zum Todeszeitpunkt
entstanden sein.«
»Und der war wann?«
Die Pathologin reckte in einer Geste, die angesichts
ihres sonst zur Schau gestellten Phlegmas geradezu
theatralisch wirkte, die Arme in die Luft. »Dio mio,
Dirigente, soll ich hellsehen?«
Donati bleckte die Zähne zu einem breiten, nicht
ganz glaubwürdigen Lächeln. »Das wäre natürlich optimal, Dottoressa. Aber solange das nicht möglich ist,
nehme ich mit Ihren diesseitigen Fähigkeiten vorlieb,
die allseits zu Recht geschätzt werden.«
Einer so geballten Schmeichelei konnte sich selbst
Dr. Gearroni nicht entziehen. Sie gestattete sich ein
Zucken der Mundwinkel, das man mit einigem guten
Willen als Lächeln auslegen konnte, und wandte sich
wieder der Leiche zu.
»Der Mann ist in der vergangenen Nacht zu Tode
gekommen, eher nach Mitternacht als davor.«
»Lange nach Mitternacht?«
Mit einem gedehnten Seufzer deutete Dr. Gearroni
an, daß ihre Geduld allmählich erschöpft war. »Vielleicht war es ziemlich genau Mitternacht, vielleicht eine halbe Stunde später, so genau kann ich das zu diesem Zeitpunkt unmöglich sagen.«
»Aber, aber, Dottoressa«, flötete Donati. »Sie haben bereits sehr viel gesagt.«
Währenddessen war Alexander an den Untersuchungstisch aus rostfreiem Edelstahl getreten und
starrte ungläubig auf den Leichnam, der außergewöhnlich bleich wirkte. Der Mann, der bald für immer unter der Erde sein würde, schien sich auch zu
Lebzeiten nur selten der Sonne ausgesetzt zu haben.
Etwa fünfzig Jahre alt, dünnes graues Haar, Hohlkreuz und kaum Muskeln, ein typischer Schreibtischhengst. Alexander wußte auch, an welchem Schreibtisch er gesessen hatte. Allerdings hatte er ihn nicht
sofort erkannt, so vollkommen nackt. Bislang hatte er
ihn immer nur im dunklen Anzug und mit dem weißen Römerkragen eines Geistlichen gesehen.
»Das ist doch …«
»Rosario Picardi, Stellvertretender Direktor der Vatikanbank«, beendete Donati den Satz. »Vergangene
Nacht tot aufgefunden in den Ruinen des Klosters
Sant’Anna.«
»Sant’Anna bei der Via Appia?« vergewisserte
Alexander sich. »Im Kloster der Verdammten?«
»Genau dort. Ein interessanter Ort für einen hohen
Geistlichen aus dem Vatikan, um sich ermorden zu
lassen.«
»Ist denn der Fundort der Leiche mit dem Tatort
identisch?« fragte Alexander.
Dr. Gearroni ergriff das Wort: »Zumindest der Augenschein läßt darauf schließen. Nichts deutet darauf
hin, daß der Tote noch transportiert worden ist.«
In Alexanders Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er dachte an Picardi, den er vor etwa einem Jahr
in seiner Funktion als Vatikanjournalist gemeinsam
mit Elena interviewt hatte. Picardi war in der Tat ein
Schreibtischhengst gewesen, ebenso humorlos wie Dr.
Gearroni und, zumindest dem Anschein nach, mit
nichts anderem beschäftigt als seiner Arbeit. Und
Alexander dachte an Elena, die Frau, mit der er mehr
als zwei Jahre lang glücklich gewesen war.
Er wandte sich wieder an Donati: »Du hast gesagt,
Elena steckt in Schwierigkeiten. Hat das mit Picardi
zu tun?«
»Allerdings«, antwortete Donati, und seine Züge
verdüsterten sich.
»Was ist mit ihr? Sag’s mir endlich, Stelvio!«
»Elena wird verdächtigt«, sagte Donati leise und
schien sich nicht überwinden zu können, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken.
Alexander fixierte den Polizisten. »Wessen wird sie
verdächtigt?«
Donati wich dem Blick aus und starrte auf den
glänzenden Untersuchungstisch mit dem bleichen
Leichnam.
»Es sieht so aus, als hätte Elena Monsignore Picardi
ermordet.«
3
San Gervasio

B
    lasses Licht fiel durch die schmale Fensteröffnung und tauchte die winzige Zelle in eine diffuse Helligkeit. Enrico Schreiber lag auf der schmalen
Pritsche und fühlte sich wie gerädert. In dem alten
Gemäuer war es kalt, er aber war vom Kopf bis zu
den Füßen naß. Schweißnaß. Gepeinigt von einem
    Traum, den er als erschreckend real empfunden hatte.
Er wollte sich aufsetzen, die Panik abschütteln, die der
Traum in ihm entfacht hatte, aber
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