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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht
Autoren: Sara Paretsky
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festnehmen. Wenn ich die Kassettenaufnahme des Gesprächs zwischen Gantner und Blakely nicht vorgelegt hätte, hätte der Staatsanwalt den Haftbefehl möglicherweise nie rückgängig gemacht.« »Und du hast nicht genug Vertrauen in unsere Gerichte, daß sie das alles auseinandersortieren? Du bist mir schon eine schöne Juristin, Ms. W.« Er wollte einen Scherz machen, aber seine Worte trafen mich.
    Als ich ihm keine Antwort gab, fügte er hinzu: »Es hat sich herausgestellt, daß du mit fast allen deinen Behauptungen recht hattest - außer daß Fabian seine Frau ermordet hat, wie du es ja irgendwie gehofft hast. Aber noch so eine Episode stehe ich nicht durch, Vic. Es macht mir nichts aus, daß du recht hast; es geht auch gar nicht um die Kugel in meiner Schulter. Nein, ich kann dir bloß nicht mehr dabei zusehen, wie du ohne Rücksicht auf Verluste deine ganz persönliche Auffassung von Gerechtigkeit durchsetzt.«
    Ich weinte so sehr, als ich das Zimmer verließ, daß ich nichts mehr sah. Camilla sprang von ihrem Stuhl auf, um mich zur Toilette zu begleiten. Ich blieb allein dort, bis ich sicher sein konnte, daß Conrad mit seiner Familie das Krankenhaus verlassen hatte.
    Danach brachte ich kein allzu großes Interesse mehr für den Fall auf; der einzige Aspekt, der mich auch weiterhin berührte, war Emily Messengers Schicksal: Noch während Conrad in Morris gewesen war, hatte ich angefangen, den Staatsanwalt zu bearbeiten, daß er den Haftbefehl gegen sie aufhob. Terry half mir dabei. Er war mir böse, weil Conrad wegen mir verletzt worden war, und gleichzeitig verlegen, weil er seinen Fehler einsehen mußte, aber immerhin war er ein gerechter Polizist. An dem Tag, an dem ich mir sicher sein konnte, daß Emily nichts mehr zur Last gelegt wurde, fuhr ich zu Arcadia House. »Ich hoffe, daß Mary Louise Neely Emily Messenger zu euch gebracht hat«, sagte ich zu Marilyn Lieberman.
    Sie schenkte mir ihr typisches, schiefes Lächeln. »Du weißt ganz genau, daß wir die Identität unserer Bewohner nicht preisgeben, Vic.«
    »Mach keinen Narren aus mir, Lieberman. Ich bin ihr nicht nahegekommen, habe ihr nicht mal einen Brief geschrieben, sie auch nicht angerufen, solange ich befürchten mußte, daß ich ihr damit Schwierigkeiten einhandeln könnte. Der Staatsanwalt hat den Haftbefehl gegen sie aufgehoben. Der Typ, der versucht hat, sie umzubringen, liegt mit einem Loch im Unterleib im Grundy County Hospital. Der wird nie mehr der Macho von früher sein. Und Donald Blakely ist in der großen Geldwäscherei im Himmel. Emily kann sich wieder an die Öffentlichkeit wagen. Sie kann zurück in die Schule und überlegen, was sie mit ihrem Leben anfangen möchte. Ist sie hier? Oder muß ich die ganze Stadt mitsamt Schächten durchsuchen, um sie zu finden?«
    Marilyn grinste und nickte. Ich war mir sicher gewesen, hundertprozentig sicher, daß Mary Louise Neely sie zu Marilyn gebracht hatte. Aber ich mußte das erst aus Marilyns Mund hören, bevor ich mich endgültig entspannen konnte.
    »Was ist mit ihrem Vater?« erkundigte sich Marilyn. »Sie ist minderjährig; wir werden ihre Anwesenheit hier nicht offiziell bestätigen, wenn sie zu ihm zurückmuß.«
    »Fabian? Ich glaube, das kann ich regeln. Aber zuerst würde ich gern erfahren, welche Pläne sie selbst für die Zukunft hat.«
    Marilyn ließ Eva Kuhn holen. Ich erklärte ihr die neuesten Entwicklungen, dafür berichtete mir Eva von den psychischen Fortschritten, die Emily machte. »Wir sind hier nicht in Hollywood, Vic - schließlich ist sie erst seit zwei Wochen bei uns. Sie braucht eine stabile Umgebung mit festen Strukturen, viel, viel Unterstützung und eine langfristige Therapie. Das ist mehr, als ich ihr geben kann. Aber im Grunde ist sie ein gesundes Mädchen und hat viele Talente. Mit der richtigen Hilfe müßte sie es eigentlich schaffen. Ich möchte gern, daß sie noch einen Monat oder so hierbleibt, bis sie sich stark genug fühlt wegzugehen. Aber wo sie dann hinsoll, ist die große Frage.« Als sie mich zu Emily führte, war ich erstaunt über ihre Veränderung. Sie sah jünger aus, als ich sie in Erinnerung hatte, und sie trug eine Jeans, die ihr tatsächlich paßte, dazu ein kräftig türkisfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift »Our Bodies, Our Lives«. Eine der Mütter, die ebenfalls in dem Frauenhaus wohnte, erzählte mir Marilyn, hatte ihr krauses Haar zu Zöpfen geflochten und mit bunten Perlen geschmückt. Emily sah mich wie üblich ernst an, verzog aber
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