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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman
Autoren: Wallstein Verlag
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erzählen, wie er damals in das Wespennest getreten ist, wie er vom Birnbaum fiel, wie ein Astsplitter sein Auge traf, wie sein Jagdhund den Dachs ergriff, wie der Fuchs seinen Hühnerstall plünderte, wie er die erlegten Feldhasen vor den Jägern versteckte, wie er sich vor der Hornnatter in Sicherheit brachte, wie ihm eine Bache den Weg verstellte, wie die Blitze in die Föhre einschlugen, wie er den Auerhahn schoss und den kapitalen Hirsch verfehlte. Er wird, wie er es gelernt hatte, die Obstbäume in windgeschützten Lagen pflanzen und schädliche Kaltluftströme aufspüren. Er wird den Apfelbäumen mit Erziehungsschnitten zu schönen Kronen verhelfen. Er wird Kirschen und Birnenbäume veredeln, ihnen neue Triebstücke aufsetzen, die vorbereiteten Langtriebe, in ein Tuch gewickelt, im Keller verwahren, im Frühjahr wird er sie schneiden und einpfropfen. Wenn er die Schnittstelle an der Veredelung mit einem Wundmittel eingeschmiert und die Wunde verbunden haben wird, wird er den Bäumen gut zureden, die neuen Triebe anzunehmen. Er wird die Lage der Äcker festlegen, den Stalldünger ausbringen und den Boden pflügen, die Erde zwischen den Fingern reiben, ob sie zu feucht oder zu trocken sei, der Boden krümeln, die Schollen brechen könnten. Er wird mit dem Wendepflug gerade Furchen ziehen und uns an der Seilwinde mit Zurufen Zeichen geben, wann der Zugmotor einzuschalten, wann er auszuschalten sei. Er wird eggen und die Saat ausstreuen, das Korn mähen und zu Garben binden. Später wird er das Getreidefeld aufgeben, es mit Klee zuwachsen lassen, er wird das Pferd verkaufen und sich einen Traktor zulegen, er wird die Trächtigkeit seiner drei Kühe mit Tasten und Klopfen überprüfen, mit Mutter bei den kalbenden Kühen wachen, frische, trockene Streu auf dem Boden verteilen, auf die Vorderfüße des Kalbes warten, auf seinen Kopf, Pepi holen, wenn der Kopf zurückbleiben sollte und das Kalb verdreht liegt, er wird das Maul des neugeborenen Kalbes vom Schleim befreien. Er wird jedes Jahr zwei Schweine schlachten, die Tiere mit einem Schlagbolzen betäuben, ihre Kehlen durchschneiden, das Blut in einer Schüssel auffangen und die Schüssel in die Küche tragen lassen. Er wird die Schweine abschaben, sie an den Hinterbeinen an einem Gerüst hochziehen, den Kopf abtrennen, den Bauch aufschlitzen, die Innereien herausziehen, das Geschlinge und Gekröse am Haken aufhängen, das Tier in zwei Hälften sägen, es von oben bis unten abklopfen, es loben. Er wird die Gedärme mit der Schubkarre zum Bach bringen, wo wir sie reinigen werden, sie mit einem Holzstab durchsichtig schaben werden, der klare, helle Darm im weißen Kübel, ein glitschiger Strick. Er wird das Tier, das zu Fleisch geworden ist, in die ungeheizte Kammer tragen und es zerlegen. Er wird die Fettschicht betasten, die Schultern, den Rücken, den Bauch streicheln, das brave Tier, das gute Fleisch. Er wird seine spezielle Gewürzmischung dem geschnittenen und faschierten Fleisch beimengen und hoffen, dass heuer die Würste gelingen mögen, dass heuer der Schinken eine Gaumenfreude werde. Er wird im Winter seinen Zwetschkenschnaps brennen, den Kessel mit Maische bei Tag und Nacht befeuern, die Kühlung prüfen, das Destillat verkosten, im zweiten Durchgang das Feuer nicht aus den Augen lassen, damit der Mittellauf, das Herz seiner Brennleidenschaft, lange fließe. Er wird die Litermengen mit einem Messer in die Wand der Schnapsküche ritzen. Er wird Holzzäune errichten und Gatter bauen, er wird das Gras mähen und das Heu einbringen. Er wird die Geräte reparieren, die Heugabelstiele erneuern, die hölzernen Rechenzähne mit einem Schabhobel schneiden, auf seiner Hobelbank Bretter und Leisten abschleifen, die Kanten verleimen, er wird seine Sensen dengeln. Er wird ein Haus bauen.
    Nach getaner Arbeit wird er erschöpft über den Hof schreiten, sich auf die Schwelle des Hauses setzen oder hinter dem Küchentisch einschlafen. Er wird sich wertlos fühlen und sprachlos. Seine Kopfschmerzen und Magenschmerzen werden ihn zu einem stöhnenden Körper machen, der sich im Weg ist und sich wegwerfen möchte.
    Er wird seine Kinder beobachten, sie nicht zur Arbeit drängen, er wird nichts anordnen, nur ab und zu bitten, das Befehlen seiner Frau überlassen, sich über ihre Arbeitsanstrengungen freuen, an ihrer Widerspenstigkeit resignieren, sie nicht ernst nehmen, um ihre Zuneigung werben, sie wegen ihrer Jugend verloren glauben. Er wird das Vertrauen verlieren, sich
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