Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman
Autoren: Wallstein Verlag
Vom Netzwerk:
kontrolliert, wird die Treppe hinauf auf den Dachboden gestiegen, der unheimlich wirkt, in die Dachkammer geschaut, in die sich vor Jahren Gespenster geflüchtet haben zu den Schlafenden und sie aus dem Zimmer gejagt haben, wie Großmutter erzählt.
    Großmutter tänzelt ins Freie und bindet den gelben Ranunkelstrauch vor der Scheune an den Zwetschkenbaum. Sie spricht den Holunderbusch neben dem Misthaufen an, damit er rascher erblühe. Dann kommt sie zurück, um mich zu holen. Wir gehen über den Hof zu den Futterquellen im unteren Keller und im Speicher. Sie öffnet Mehlsäcke, Truhen und Holzkübel, sie füllt ihre Schürzentaschen mit frischem oder gedörrtem Obst, sie streut Weizen und Maiskörner für die Hühner aus. Ihre Stirn ist gerunzelt wie die Schindelbretter des Daches über dem Getreidespeicher. Sie eilt mir voraus, will zur Dörre am Bach und nach den Lattenrosten sehen, auf denen im Herbst die Zwetschken und Birnen getrocknet werden.
    Zweimal in der Woche überprüft sie mit mir die Legeplätze der Hennen in den Geräteschuppen und auf der Tenne. Liegen bis Ende der Woche in einem Nest keine Eier, sucht sie das Tier, das sie im Verdacht hat, mit dem Legen zu trödeln. Kommt es in ihre Nähe, greift sie überfallsartig nach dem kreischenden Federvieh und fährt ihm mit dem Zeige- und Mittelfinger in den After. Blitzt unter ihren Fingern etwas Weißes hervor, sagt sie, das Ei komme morgen oder übermorgen, es habe noch eine weiche Schale.
    Einmal holt sie zu meinem Vergnügen ein Ei aus der Henne, das in ihren Händen zerfließt. Ich muss lachen. Eiermädchen, nennt mich Großmutter. Den Namen habe mir Großvater gegeben, erzählt sie, als er krank auf der Ofenbank lag und auf mich achtgeben musste. Ich sei ein Schoßkind gewesen, kaum mehr als ein Jahr alt, und habe die Eier in der untersten Lade der Stubenkredenz entdeckt, sie einzeln über den Holzboden rollen lassen und, sobald das Eigelb aus der Schale getreten war, sonci gre gerufen, das Sonnchen geht auf! Großvater habe mich beobachtet und sei so begeistert gewesen, dass er mich die Schüssel ausräumen ließ und ihr verboten habe, mit mir zu schimpfen. Er habe gemeint, während sie die Eierspeise vom Boden aufwischte, dass man mit mir und mit ihm Mitleid haben müsse. Bald danach sei er gestorben, obwohl ich ihn unterhalten hätte.
    Nur beim Teigkneten schätzt Großmutter die Hilfe von Mutter. Dann schaut sie ihr zu, wie sie das Mehl rührt. Im Teigtrog schmatzt es und patzt es. Schweißtropfen bilden sich auf Mutters Stirn und fallen ins werdende Brot. Sie richtet sich auf und wischt mit dem Oberarm den Schweiß aus dem Gesicht. Ihre Wangen sind rot, die Ärmel der Bluse hochgekrempelt, im Halsausschnitt kann ich ihr Unterhemd sehen. Sie fragt, wie das Verhältnis von Roggen und Weizenmehl sei und das von Sauerteig und Wasser, sie würde gern wissen, wie viele Kilo Mehl. Großmutter sagt, wenn das Mehl diese Rille der Trogwand bedeckt, ist es gut. Dann beugt sich Mutter wieder über den Teig. Wenn er sich von ihren Fingern zu lösen beginnt und der Trog nicht mehr knarrt, hat sie die Arbeit geschafft. Großmutter schneidet ein Kreuz in den Teig und bedeckt ihn zum Gehen.
    Zwei Stunden nachdem Großmutter den Ofenrachen mit den grauweißen Mehlbäuchen gefüttert hat, gibt der Ofen die Brotlaibe wieder her. Das heiße gebackene Brot wird aus dem Ofenmaul gezogen, mit einem Tuch abgewischt, bekreuzigt und in meine Schürze gelegt. Ich trage das Brot in die Stube zum Kühlen und schiebe es auf den Tisch oder auf die geräumige Ofenbank. Der Duft nach frischem Brot durchweht das Haus. Großmutter schreitet die Räume ab, als ob sie sich vergewissern wollte, ob die Sauerteigschwaden wohl jede Ecke des Hauses erreicht haben.
    So wenig Brot gab es zu essen im Lager, so wenig, deutet sie mit dem Daumen und dem Zeigefinger die Größe der Brotstücke an, die den Häftlingen zugeteilt wurden. Es musste reichen für einen Tag, manchmal für zwei. Später bekamen wir nicht einmal das, sagt sie, und haben das Brot phantasiert. Ich blicke sie an. Sie sagt, wie sie immer sagen wird, je bilo cudno , es war befremdend, sagt sie und meint, es war schrecklich, aber grozno fällt ihr nicht ein.
    In ihren Schürzentaschen lagern Brotkrümel und alte Brotrinden. Wenn sie über den Hof geht und in den Stall, verteilt sie das Brot an die Tiere. Den Hühnern wirft sie im großen Bogen die Krumen zu, den Kühen und Schweinen stopft sie die Rinde ins Maul. Man müsse
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher