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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman
Autoren: Wallstein Verlag
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Haaren und Flügeln, die aus seinem Rücken wachsen, soll auf mich achtgeben. Ein unvorsichtiger junger Mann, wie ich feststelle, der mit offenen, untauglichen Sandalen zwei Kinder über eine Hängebrücke führt; darunter klafft eine tiefe Bergschlucht. Mutter betet mit mir sveti angel varuh moj, bodi vedno ti z menoj, stoj mi dan in noc ob strani, vsega hudega me brani, amen und sagt, dass Engel in die Seele eines Menschen blicken und ihre geheimsten Gedanken lesen können.
    Ich betrachte die pausbäckigen, wohlgenährten Wesen mit Skepsis, weil ich glaube, dass meine Gedanken nicht dazu da sind, um ausgespäht zu werden, und weil ich befürchte, dass die Engel zu naiv und zu unerfahren sind, um auf mich aufzupassen. Sie haben einen verklärten, verträumten Blick, der gegen den Himmel gerichtet ist, tragen, soweit sie nicht halbnackt sind, wertvolle Kleider, spielen die seltsamsten Instrumente und sind in den Wolken zu Hause, nicht auf der Erde. Wollen diese Flügelwesen wirklich alles wissen und sehen, was ich vor den Menschen geheim halten möchte, überlege ich. Es ist mir nicht wohl dabei, obwohl mir die singenden Mädchenknaben gefallen und von da an in Schwärmen auf Kirchenaltären und Fresken hocken werden, wie die Schwalben im Spätsommer auf den Stromleitungen, bevor sie in wärmere Gegenden fliegen.
    Erschrocken stelle ich eines Morgens nach dem Aufstehen fest, dass mein Vater vom Himmel gefallen oder von einer Brücke gestürzt sein könnte. Er liegt mit blutüberströmtem Gesicht auf dem Küchenboden. Großmutter schiebt ihm ein Pölsterchen unter den Kopf und deckt ihn mit einer Wolldecke zu. Mutter hat ein Lavoir mit kaltem Wasser neben Vater gestellt. Sie will ihm das Blut von den Wangen wischen, aber er hebt abwehrend die Hand.
    Wir können ihn doch nicht hier liegen lassen, sagt Mutter mit hoher Stimme.
    Lass ihn doch, wenn er will, bestimmt Großmutter und drängt Mutter zur Seite.
    Als Vater bemerkt, dass ich mich verstört an den Herd drücke, lächelt er. Ein kleiner Blutschwall rinnt aus seinem Mund die Wange hinunter und versickert im hellen Hemdkragen, der schon mit Blut getränkt ist.
    Er hat seine Zähne verloren, jammert Mutter und stürzt aus der Küche. Vor der Haustür bleibt sie stehen und zupft an den Blumen herum, die in den Blumenkisten zu blühen beginnen. Was ist geschehen, will ich wissen. Vater ist mit dem Motorrad gestürzt, schluchzt Mutter, man müsse einen Arzt verständigen. Dann läuft sie davon.
    Am Nachmittag wird Vater zum Arzt gefahren. Ein Nachbar holt ihn mit dem Auto ab.
    Er habe viele Schutzengel gehabt, sagt Mutter. Haben die Engel sein Motorrad im Sturz weich aufprallen lassen, denke ich, oder haben sie einen Nachbarn geweckt, der Vater in der Wiese liegend gefunden und ihm geholfen hat aufzustehen? Ich sollte mir die Geschichte mit den Engeln noch einmal durch den Kopf gehen lassen, beschließe ich, vielleicht sind sie doch nicht so unnütz, wie ich geglaubt habe.
    * * *

Vater trägt am liebsten Knickerbocker aus Schnürlsamt. Im Gehen pendelt der offene Klemmverschluss an seiner Wade, weil er in der Eile vergessen hat, ihn zu schließen. Er hat eine zupackende Art zu gehen, als ob er sich immerfort die Hände reiben müsste vor Ungeduld oder vor Freude. Im Sommer springt er barfuß in die Holzzockeln, die vor der Haustür aufgestellt sind. Im Winter presst er seine in Wollsocken steckenden Füße so ungeduldig in die Lederkappe der Holzschuhe, dass sich an den meist geflickten Fersen die Wollwülste stauen. Alles setzt sich in Bewegung, wenn er über den Hof eilt. Der Hund Piko läuft an der Kette hin und her, die Katzen nähern sich der Stalltür, die Säue lärmen durchdringend in ihren Kojen. Mutter hastet mit Eimern, aus denen das Schweinefutter schwappt, in den Stall.
    Vater hat die Kühe schon von der Kette gelassen und treibt sie zur Tränke. Er hat keine Zeit gehabt, die Haselnussrute aufzuheben, die neben der Stalltür liegt, er dirigiert die stolpernden Tiere mit der Hand und schreit. Zuweilen hört sich das an wie ein Jauchzen.
    Die Kühe sind für sein Zeitmaß zu langsam. Kaum kehren sie an ihre Plätze zurück, hat er die Geduld verloren und wirft mit Flüchen um sich, als vertreibe er lästige Fliegen. Wenn er das Heu in den Stall trägt und von der Stallschwelle den Namen der Kuh ruft, die ihm Platz machen muss, tritt die aufgerufene Kuh tatsächlich zur Seite, damit er das Futter in die Krippe stopfen kann. Seine Bewegungen sind ausholend
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