Engel des Vergessens - Roman
Kindes nicht mehr ertrage, aber sie hört immer noch Smrtnik zu und findet, dass ich mich schlecht benehme. Der Schrecken hat mittlerweile die Stärke eines Sturms erreicht. Als wir endlich ins Freie treten, habe ich das Gefühl, dass mir die Hälfte des Kopfes fehlt, dass ich von außen betrachtet wie ein Haus aussehe, dem der Sturm das Dach weggerissen hat.
Bled bezaubert alle. Wir müssten unbedingt auf die Burg, die über dem See thront, um auf den See hinunterzuschauen, sagt Smrtnik. Wir stellen das Auto in einem Wäldchen ab und gehen zu Fuß zur Burganlage hinauf. Aus den Türen und Fenstern des Restaurants, das sich in der Burg befindet, strömen uns Essensdüfte entgegen. Die Stimmung der Wallfahrer belebt sich. Kaum haben wir auf der Terrasse Platz genommen, Getränke und Cremeschnitten bestellt, beginnt eine Musikantengruppe hinter uns ihre Instrumente auszupacken.
Ist das für uns, fragt Smrtnik, das wäre zu schön!
Für eine Doppelhochzeit, ruft einer der Musiker, es gibt was zu feiern!
Mit dem Erscheinen der ersten Hochzeitsgäste setzt die Musik ein. Das erste Paar ist von einer Menschentraube umgeben. Kellner kreisen mit Tabletts, auf denen gefüllte Weingläser stehen, um die fröhlichen Hochzeiter. Das zweite Paar wird von einer Volkstanzgruppe in den Hof geleitet und unter Jauchzen und Gelächter zum Tanz aufgefordert.
Großmutter ist aufgestanden und prostet den Hochzeitsgästen zu. Ihr Kopftuch hat sich in der Aufregung verschoben und eine Strähne dünner weißer Haare lugt unter dem Stoff hervor. Ohne ein Wort zu sagen, stellt Großmutter das Glas auf den Tisch und geht auf die Hochzeitsgesellschaft zu. Sie zupft einen Mann am Ärmel und flüstert ihm etwas ins Ohr. Er neigt seinen Kopf, dann legt er seinen Arm um ihre Schultern und beginnt mit ihr zu tanzen.
Die alte Frau mit Kopftuch und runden Brillengläsern, die einen unbekannten jungen Mann zum Tanzen führt, zieht für ein paar Augenblicke die Aufmerksamkeit der Fotografen auf sich. Sie wenden sich von den Brautleuten ab und fotografieren das ungewöhnliche Paar.
In den Musikpausen unterhält sich Großmutter angeregt mit ihrem Partner und lässt sich erst nach ein paar Tänzen an den Tisch zurückführen. Danke für den Tanz und einen schönen Nachmittag euch allen, sagt der Mann und zwinkert Großmutter zu. Er kommt aus Dolenjsko, sagt Großmutter. Ich habe nur gesagt, dass ich aus Kärnten stamme. Das hat ihm gefallen und er hat mir gefallen, so einfach ist das.
Für die Heimfahrt decken sich die Wallfahrer mit Wein und Zigaretten ein. Sie überlegen, wie sie die Ware über die Grenze schmuggeln könnten, und einer der Männer schlägt vor, mich mit den Zigarettenschachteln auszustopfen, da ich ja noch Platz unter meinem Dirndl hätte. Großmutter überlegt, ob das eine gute Idee sei, und schaut mich fragend an. Was passiert, wenn der Zöllner die Zigaretten findet, werde ich dann verhaftet, frage ich irritiert. Die Wallfahrer lachen.
Das Auto schaukelt auf der spärlich asphaltierten Landstraße Richtung Kärnten. Wir biegen ins Kokra-Tal ein. Einem Wallfahrer wird schlecht. Smrtnik hält am Straßenrand und lässt den Mann aussteigen, der sich sofort übergibt. Wenn er so viel kotzt, wird er wieder nüchtern, sagt einer der Männer, dann habe das Trinken keinen Sinn gehabt.
Ein paar Kilometer vor der Grenze hält Smrtnik wieder abrupt an. Ein zweiter Wallfahrer muss erbrechen und taucht in das Gebüsch neben der Straße ein. Im Dunklen hört man seine Würgkrämpfe und sein tiefes Atmen.
Smrtnik bittet die Fahrgäste, die Zigaretten und den Wein zu verstecken und nur die erlaubte Menge sichtbar auf den Sitzen zu platzieren, damit es nicht aussehe, als hätte man überhaupt nichts mitgenommen. Ein paar Weinflaschen und Zigarettenstangen werden im Kofferraum unter dem Reserverad deponiert, die anderen in die Ärmel der Sakkos geschoben und unauffällig drapiert. Was ist mit dir, fragt eine ältere Frau, sollen wir ein paar Zigarettenschachteln unter deinem Kleid verstecken, der Zöllner wird dich in Ruhe lassen, weil du ein Kind bist. Ich willige ein und öffne den Halsausschnitt, damit Großmutter die Zigarettenschachteln hinter das Oberteil des Dirndls schieben kann. Du solltest dir eine Wolljacke über die Schultern legen, damit dein Rumpf nicht so auffällt, sagt sie.
Als wir den Grenzübergang erreichen, liege ich ausgestopft mit Zigarettenschachteln auf der Hinterbank, unter mir zwei zusätzliche Zigarettenstangen,
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