Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
oder »Scharf wie der Teufel«), so ganz nach meinem Geschmack.
    Alles in allem war es genau der richtige Ort zum Abendessen, von der Bedienung abgesehen. Ich hatte schon eine ganze Weile gewartet, und noch immer hatte mir niemand einen guten Abend gewünscht, mich als Gast registriert und mir Eiswasser gebracht, von dem ich nicht getrunken hätte. Und nicht nur die Bedienung ließ zu wünschen übrig. Bei meiner Ankunft sah ich sofort, dass jemand die meisten Stühle in der Mitte des Saales umgestoßen hatte, was einen wüsten Eindruck machte. Ich hätte sie wieder aufgestellt und unter die Tische geschoben, aber das war nicht mein Bier. Auch für die kaputten Glühbirnen fühlte ich mich nicht zuständig. Ich spielte schon mit dem Gedanken, in der Küche nach dem Rechten zu sehen, aber auch das hatte keinen Sinn. Da hinten war es sogar noch ruhiger und dunkler.
    Ich stützte die Ellbogen auf und fragte mich, was ich in Gottes Namen eigentlich hier machte. Drei Tage auf einen Teller mit Chili con carne warten, das war entschieden zu lang, selbst wenn das Chili wirklich gut sein sollte. Am Ende war ich so weit, mich von Relent im Staate Idaho zu verabschieden.
     
    Ich kannte Städte wie Relent zur Genüge, denn in den letzten Monaten hatte ich die meiste Zeit in solchen Nestern zugebracht. Ich war ziellos viele Meilen durch Wälder und Prärien der ödesten Bundesstaaten gefahren. Anfangs hatte ich in Motels gewohnt, doch eines Nachmittags stellte ich bei einem Gang zum nächsten Geldautomaten fest, dass das Geld weg war. Es ist erstaunlich, wie so ein kleines buntes Plastikkärtchen über das eigene Wohlergehen, die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl entscheidet. Die ganze Bedeutung des Kärtchens geht einem erst auf, wenn der Automat es wieder ausspuckt und »Nein« sagt, und es bedeutet: weder jetzt noch später noch sonst irgendwann. Schlagartig wird einem bewusst, dass die Karte nie ein wunderbares Füllhorn war, sondern nur ein Stück Plastik, das man noch nicht einmal rechtmäßig besaß. Ich stand auf einem Parkplatz in New Jersey und ließ das Kärtchen von einer Hand in die andere wandern, bis eine Frau mit einem riesigen Geländewagen und drei übergewichtigen Kindern mich aufforderte, endlich zu verschwinden. Mit gezückter Karte stand sie da und zeigte, dass sie an deren Funktionsfähigkeit keinen Zweifel hatte. Ich beneidete sie darum, wenn auch nicht um ihre Kinder, denn die waren hässlich wie die Sünde.
    Ich kehrte zu meinem Auto zurück und stieg ein. Dort saß ich und starrte durch die Windschutzscheibe. Mir blieben noch achtzehn Dollar und ein bisschen Wechselgeld, dazu eine halbe Tankfüllung. Das war alles.
    »Tja, Bobby, was machen wir nun?«
    Bobby antwortete nicht, denn Bobby war tot. Er war mein bester Freund gewesen und gehörte zu den wenigen Menschen, deren Leben mir auch langfristig etwas bedeutet hatten. Er war in The Halls, einem Luxusanwesen in den Bergen, ums Leben gekommen, als wir versuchten, einen Psychopathen zu stellen, der sich selbst Upright Man nannte und der noch dazu mein Zwillingsbruder war. The Halls hatte eine Götterdämmerung erlebt, und Bobbys Leiche war dabei mit in die Luft gegangen. Seitdem war Bobby zu meinem unkalkulierbaren Gesprächspartner geworden. Manchmal sagte er genau das, was ich gerade brauchte, zum Beispiel ja, Ward, das könnte eine gute Stadt zum Übernachten sein, oder: ja, ich brauche höchstwahrscheinlich noch ein Bier, oder: ja, wir haben unser Bestes getan, um die Leute, die meine Eltern umgebracht haben, zu finden, es wäre daher töricht von mir, mich für alles schuldig zu fühlen, was schiefgegangen ist, einschließlich Bobbys Tod.
    Dann schwieg er für lange Zeit. Wochenlang. Ich weiß nicht, wo er in diesen Perioden steckte, was in meinem Kopf vorging, so dass ich ihn nicht mehr hören konnte. Und ich wusste, dass ich ihn nur in meinem Kopf hörte. Er war nicht wirklich da.
    Schließlich drehte ich den Zündschlüssel und verließ den Parkplatz vor der Bank. Drei Städte weiter fand ich einen Job als Spüler und Küchenhilfe. Der ecuadorianische Koch ließ mich für zwei Tage bei ihm auf dem Boden schlafen. Danach hatte ich genug Geld für ein eigenes Zimmer, sofern ich mich nicht an den Kakerlaken, dem Staub und dem Lärm störte. Auch auf das Essen verzichtete ich. Für Leute in dieser Lebenslage ist eine Arbeit als Küchenhilfe gerade richtig, obwohl einem der billige Fraß bald zum Hals heraushängt. Nach einer Woche verdarb
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher