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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einem versoffenen Tramp im birmesischen Sumpfwald! Dazwischen das Studium in Heidelberg und Marburg, die Assistenzzeit im katholischen Krankenhaus von Memmingen, drei Jahre Uni-Klinik Freiburg, Facharzt für Chirurgie mit Auszeichnung, Oberarzt in Duisburg, Unfallspezialist, Hochzeit mit Dr. Margarete Pluding, Tochter von Professor Pluding, dem Hämatologen, genannt der ›große Bluter‹. Nach zwei Jahren Scheidung, eine Kavaliersscheidung ohne gegenseitige Ansprüche. Grund: Margarete hatte von ihrem Vater die große vornehme Linie geerbt und wurde hysterisch, wenn ihr Mann die Beine auf den Tisch legte oder in Hemdsärmeln zum Essen kam. Dann zwei Wanderjahre von Klinik zu Klinik, immer zur Probe, die aber nie zu einem festen Vertrag führte, denn der Bannstrahl Professor Pludings verfolgte ihn überallhin. Schließlich freie Praxis als Allgemeinmediziner in Hannover, ein Leben in Saus und Braus mit 1.500 Krankenscheinen im Quartal und einer exklusiven Privatklientel.
    Vor sieben Jahren dann der Fall Dora Brander, die schöne, rothaarige Dora Brander, die seine Geliebte wurde und ein Kind von ihm bekam. Das heißt, sie bekam es nicht. Sie erpreßte ihn, bis er einen Abortus bei ihr machte, der mißlang. Dora starb, verblutete hilflos in ihrem Bett. Dann der Prozeß, zwei Jahre Zuchthaus, Hinauswurf aus der Ärztekammer, Aberkennung der Approbation, Flucht aus Deutschland. Ein akademischer Landstreicher, der entdeckte, daß man in einer Flasche leben konnte, daß es möglich war, die Welt zusammenschrumpfen zu lassen auf ein Maß von 0,7 Liter. Eine herrliche Welt, in der man groß und stark war und in Ruhe gelassen wurde.
    Das bin ich, Dr. Reinmar Haller. Seit einer Stunde Lepraarzt von Nongkai. Wenn das kein Lebensweg ist! Prost, ihr normalen Arschlöcher! Er trank wieder, bis die Flasche leer war, und warf sie dann seitlich in den Dschungel. Dr. Adripur nickte verständnisvoll. »Geht es Ihnen jetzt besser?« fragte er.
    Nie wird ein normaler Mensch das Dorf Nongkai betreten. Dort, wo es gebaut wurde, ist auf allen Karten ein braungrüner Fleck, und wer Landkarten lesen kann, weiß, daß hier die Einsamkeit der Urzeit zurückgeblieben ist.
    Um geographisch genau zu sein: Nongkai liegt mitten in der breiten Landspitze, die von den Flüssen Chindwin River und Uyu Chaung gebildet wird, eine Tiefebene, die langsam ansteigt zu einem Urwaldplateau, das bisher noch nicht durchforscht, sondern nur mit dem Flugzeug und einer Spezialkamera erfaßt worden ist. Kein vernünftig Denkender würde auf die Idee kommen, in dieses Gebiet eine Expedition auszurüsten, denn außer Sumpf, Wolken von Moskitos, unzähligen Krokodilen, Affen, giftigen Fischen, Schlangen und Riesenspinnen war hier nichts zu holen.
    In diesen Dschungel hinein hatten die heiligen Schwestern ›Zum sanften Blut‹ die Leprastation gebaut. Bis heute weiß keiner, was sie in diese Gegend geführt hatte, woher sie den Mut nahmen, zuerst in drei Hütten vier Lepröse um sich zu versammeln, dann zehn, dann neunzehn, schließlich siebenunddreißig. Bei dieser Zahl griff die Regierung in Rangun ein, schickte eine Kommission nach Nongkai und befand, daß das Unternehmen ›Jesus am Kreuz‹ trotz des christlichen Namens förderungswürdig sei. Der Schwesternorden bedankte sich, Hubschrauber brachten Baumaterial nach Nongkai. Ein schönes Dorf entstand, dazu ein einstöckiges Hospital. Aber es entstanden auch hohe Holzpalisaden, die das Dorf sogar gegen den Dschungel absperrten. Die Jagd auf die Leprösen ging los, Militär wurde nach Homalin, der nächsten Ansiedlung, gelegt, von allen Seiten schaffte man jetzt die Leprakranken heran und lud sie in Nongkai ab, wie man Abfall auf eine Müllkippe schüttet.
    Man verbrauchte in sieben Jahren vier Ärzteteams. Nicht, daß die Ärzte sich infizierten und selbst zu Patienten wurden. Nein, es war wie in einer Kesselschlacht, wo es nur einen einzigen Willen gibt: Hinaus! Weg aus der Umklammerung! So wurde jeder Nachschubtransport gleichzeitig ein Kampf mit den Ärzten. Als es dem Vorgänger von Dr. Karipuri durch Bestechung gelungen war, in einem Karton, in dem man Ersatzteile für den Stromerzeuger herangeschafft hatte, Nongkai auf dem Luftweg wieder zu verlassen, hatte die Regierung harte Maßnahmen eingeführt.
    Im Gemeinschaftssaal des Dorfes hing an einer großen Tafel, für jeden lesbar, in breiten Buchstaben: Wer das Dorf verläßt, wird erschossen.
    Ein deutlicher Satz. Er galt nicht nur für die Kranken, er galt
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