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Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)

Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)

Titel: Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
Autoren: Liz Balfour
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Dabei war es nicht so sehr die Zukunft, die ihn reizte, eher die Vergangenheit. Teilhaben am Glück eines Forschers, der endlich die Formel für ein lebensrettendes Medikament fand. Dabei sein, wenn neu e Tierarten entdeckt wurden. Den ersten Momenten einer großen Liebe beiwohnen. So stellte er sich seine Zeitreisen vor. Bald steckte er mich damit an.
    Obwohl das nicht ganz stimmte. Es war kein Funke, der übersprang. Es war mehr eine Gewohnheit, die ich von ihm übernahm. Nächtelang hatten wir gemeinsam herumgesponnen, welchen Moment wir gerne miterleben würden. Das Literaturstudium half mir, um auf neue Ideen zu kommen. Als er mich für meine fantasievollen Vorschläge bewunderte, schlug ich ihm vor, mehr zu lesen. Das lehnte er rundweg ab.
    »Nicht lesen, erleben«, sagte er dann.
    »Lesen ist eine Zeitreise im Kopf, nichts anderes als das, was du dir immer wünschst.«
    »Nein, ich wünsche mir, körperlich dort zu sein. Wenn ich nur darüber lese, deprimiert mich das.«
    Genau so war Brian. Wunderbar seltsam auf seine Art. Sein Bücherregal hatte sich seit der Schulzeit nicht nennenswert erweitert, meine Bemühungen prallten an ihm ab. Wenn ich ihm ein Buch schenkte, ließ er es manchmal wochenlang unangetastet neben dem Bett liegen, natürlich nicht ohne jeden Abend mit einem Augenzwinkern zu versprechen: »Bald schau ich da mal rein.« Vielleicht hatte er dahinter die Absicht vermutet, er möge sich etwas mehr bilden. Mir ging es aber nur darum, ihm mehr von mir näherzubringen. Die Geschichten, die ich liebte, das Spiel mit der Sprache. Brian reichte sein H.G. Wells für ein ganzes Leben. Mehr Geschichten hatten in ihm keinen Platz, so sehr füllte sein Lieblingsbuch ihn aus. Ich brauchte Jahre, um das zu verstehen.
    Ich bat nun darum, seine zerfledderte Ausgabe von Die Zeitmaschine mit ihm zu verbrennen.
    Es war ein kalter, klarer Dezembertag, an dem wir seine Asche dem Meer übergaben. Acht Nächte waren vergangen, in denen ich kaum Schlaf gefunden hatte. Ich hatte Gewicht verloren, und mein Spiegel verriet mir, dass sich die Fassungslosigkeit über das, was geschehen war, in meinen Zügen reflektierte.
    Brians Eltern waren seit seinem Tod um Jahre gealtert. Sie hatten immer etwas jünger gewirkt, als sie waren, besonders seit sie nach England gezogen waren, aber nun sah man ihnen ihre knapp achtzig Jahre an. Mein Mann war der Nachzügler gewesen, zwischen ihm und seinen Schwestern lagen zwölf und fünfzehn Jahre. Sie lebten beide ebenfalls in England und waren ohne ihre Männer gekommen. Kinder hatte keine von ihnen. Der Kontakt war nie sehr eng gewesen. Brian hatte sich immer mehr wie ein Einzelkind gefühlt und seine Schwestern eher wie entfernte Tanten wahrgenommen. Sie hatten nie großes Interesse an dem kleinen Bruder gezeigt, und so war es nicht verwunderlich, dass wir uns kaum kannten. Außer einem gemurmelten Beileidsspruch hatten wir uns auch an diesem Tag nichts zu sagen. Wir waren uns fremd, und ihr Bruder war ihnen fremd geblieben. An Weihnachten und Geburtstagen waren gleichgültige Grüße ausgetauscht worden, doch nichts war darüber hinaus geschehen. Als ich Brian gefragt hatte, ob es einen Anlass gäbe, weshalb man sich aus dem Weg ginge, hatte er mich nur verwundert angesehen und gesagt, es sei nun mal nie anders gewesen und ihm fehle auch nichts. Ich sah keine der beiden Frauen weinen. Wenn ich zuvor noch gedacht hatte, Trauer würde die Menschen verbinden, wurde ich nun eines Besseren belehrt.
    Tante Mary und Onkel Ralph unterstützten mich, auch meine Cousine und beste Freundin Sophie war mitgekommen. Sie hielt meine Hand, legte den Arm um meine Schulter, gab mir Beistand und Wärme. Brians Eltern hatten Bibelstellen ausgesucht, die verlesen wurden. Ich konnte kaum zuhören. Die tief stehende Sonne blendete mich so sehr, dass ich die Augen zusammenkneifen musste, um etwas zu sehen. Aber was gab es auch schon zu sehen?
    Das Verstreuen seiner Asche, dieses letzte Ritual, stürzte mich in einen tieferen Abgrund als alle Verluste, die ich zuvor erlitten hatte. Mein Schmerz schien größer und qualvoller zu sein als nach dem Tod meiner Mutter oder meiner Großmutter. Vielleicht weil man immer damit rechnen musste, die Elterngeneration zu verlieren, aber mit dem Ehemann wollte man die Zeit bis zum eigenen Tod verbringen. Meinen Ehemann so früh zu verlieren war so falsch, so ungerecht. Es konnte doch nicht sein, dass meine Liebe zu ihm, die längst nicht aufgebraucht war, nicht
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