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Emilia Galotti

Emilia Galotti

Titel: Emilia Galotti
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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oder nicht. Das unglückliche Kind, ist immer das einzige.
    ODOARDO.Das unglückliche? - Madame! - Was will ich von ihr? - Doch, bei Gott, so spricht keine Wahnwitzige!
    ORSINA. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir vertraute? - Nun, nun; es mag leicht keine von seinen gröbsten Lügen sein. -
    Ich fühle so was! - Und glauben Sie, glauben Sie mir: wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren. -
    ODOARDO.Was soll ich denken?
    ORSINA. Daß Sie mich also ja nicht verachten!
    -Denn auch Sie haben Verstand, guter Alter; auch Sie. - Ich seh' es an dieser entschlossenen, ehrwürdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein Wort, - so haben Sie keinen.

    114
    ODOARDO.Madame! - Madame! - Ich habe
    schon keinen mehr, noch ehe Sie mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen. -
    Sagen Sie es! sagen Sie es! - Oder es ist nicht wahr, - es ist nicht wahr, daß Sie von jener guten, unsres Mitleids, unsrer Hochachtung so würdigen Gattung der Wahnwitzigen sind - Sie sind eine gemeine Törin. Sie haben nicht, was Sie nie hatten.
    ORSINA. So merken Sie auf! - Was wissen Sie, der Sie schon genug wissen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwundet? - Appiani ist tot!
    ODOARDO.Tot? tot? - Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz.
    ORSINA. Das beiher! - Nur weiter. - Der Bräutigam ist tot: und die Braut - Ihre Tochter -
    schlimmer als tot.
    ODOARDO.Schlimmer? schlimmer als tot? -
    Aber doch zugleich, auch tot? - Denn ich kenne nur Ein Schlimmeres -
    ORSINA. Nicht zugleich auch tot. Nein, guter Vater, nein! - Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst 115
    recht anfangen zu leben. - Ein Leben voll Won-ne! Das schönste, lustigste Schlaraffenleben, - so lang' es dauert.
    ODOARDO.Das Wort, Madame; das einzige
    Wort, das mich um den Verstand bringen soll!
    heraus damit! - Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in einen Eimer. - Das einzige Wort! geschwind.
    ORSINA. Nun da; buchstabieren Sie es zusammen! -Des Morgens, sprach der Prinz Ihre Tochter in der Messe; des Nachmittags, hat er sie auf seinem Lust - Lustschlosse.
    ODOARDO.Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter?
    ORSINA. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst! - Sie hatten nichts Kleines abzureden.
    Und recht gut, wenn es abgeredet worden; recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen Sie: so ist es doch keine gewalt-same Entführung; sondern bloß ein kleiner -
    kleiner Meuchelmord.
    ODOARDO.Verleumdung!verdammteVerleum-
    dung! Ich kenne meine Tochter. Ist es Meuchelmord: so ist es auch Entführung. - (Blickt wild 116
    um sich, und stampft, und schäumet) Nun, Claudia? Nun, Mütterchen? - Haben wir nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern Ehre!
    ORSINA. Wirkt es, Alter! wirkt es?
    ODOARDO.Da steh' ich nun vor der Höhle des Räubers - (Indem er den Rock von beiden Seiten aus einander schlägt, und sich ohne Gewehr sieht) Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurück gelassen! - (An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend) Nichts!
    gar nichts! nirgends!
    ORSINA. Ha, ich verstehe! - Damit kann ich aushelfen! - Ich hab' einen mitgebracht. (einen Dolch hervorziehend) Da nehmen Sie! Nehmen Sie geschwind, eh uns jemand sieht. - Auch hätte ich noch etwas, - Gift. Aber Gift ist nur für uns Weiber; nicht für Männer. - Nehmen Sie ihn!
    (ihm den Dolch aufdringend) Nehmen Sie!
    ODOARDO.Ich danke, ich danke. - Liebes
    Kind, wer wieder sagt, daß du eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun. ORSINA. Stecken Sie bei Seite! geschwind bei Seite! - Mir wird die Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen.

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    Ihnen wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit: und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste,
    - wenn Sie ein Mann sind. - Ich, ich bin nur ein Weib; aber so kam ich her! fest entschlossen! -
    Wir, Alter, wir können uns alles vertrauen.
    Denn wir sind beide beleidiget; von dem nämlichen Verführer beleidiget. - Ah, wenn Sie wüß-
    ten, - wenn Sie wüßten, wie überschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm beleidiget worden, und noch werde; - Sie könnten, Sie würden Ihre eigene Beleidigung darüber vergessen. - Kennen Sie mich? Ich bin Orsina; die betrogene, verlassene Orsina. -Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter verlassen. -Doch was kann Ihre Tochter dafür? - Bald wird auch sie verlassen sein. - Und dann wieder eine!
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