Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque
Autoren: Der Himmel kennt keine Guenstlinge
Vom Netzwerk:
ab­ge­holt?« frag­te sie.
    Ei­ne der Putz­frau­en
rich­te­te sich auf. »Sie ist auf Num­mer sie­ben ge­bracht wor­den. Wir müs­sen hier
sau­ber­ma­chen. Mor­gen früh kommt schon ei­ne Neue.«
    »Dan­ke.«
    Lil­li­an schloß die
Tür. Sie kann­te Num­mer sie­ben; es war ein klei­nes Zim­mer ne­ben dem
Ge­päck­auf­zug. Die To­ten wur­den da­hin ge­bracht, weil sie von da leicht nachts
mit dem Auf­zug nach un­ten zu schaf­fen wa­ren. Wie Kof­fer, dach­te Lil­li­an. Und
hin­ter ih­nen wusch man mit Sei­fe und Ly­sol ih­re letz­ten Spu­ren fort.
    In Zim­mer sie­ben
brann­te kein Licht. Es wa­ren auch kei­ne Ker­zen mehr da. Der Sarg war be­reits
ge­schlos­sen. Man hat­te den De­ckel über das schma­le Ge­sicht und das leuch­ten­de,
ro­te Haar ge­stülpt und ihn zu­ge­schraubt. Al­les war vor­be­rei­tet zum Trans­port.
Die Blu­men wa­ren vom Sarg ge­nom­men wor­den; sie la­gen in ei­nem Stück Wachs­tuch
auf ei­nem Tisch ne­ben­an. Das Wachs­tuch hat­te Rin­ge mit Schnü­ren, so daß man die
Blu­men mit ei­nem Griff trans­por­tie­ren konn­te. Die Krän­ze la­gen da­ne­ben,
über­ein­an­der ge­schich­tet, wie Hü­te in ei­nem Hut­ge­schäft. Die Vor­hän­ge wa­ren
nicht zu­ge­zo­gen, und die Fens­ter stan­den of­fen. Es war sehr kalt im Zim­mer. Der
Mond schi­en hin­ein.
    Lil­li­an war
ge­kom­men, um die To­te noch ein­mal zu se­hen. Es war zu spät. Nie­mand wür­de das
blas­se Ge­sicht und das leuch­ten­de Haar, das ein­mal Agnes So­mer­ville ge­we­sen
war, je­mals wie­der se­hen. Man wür­de den Sarg die­se Nacht heim­lich
hin­un­ter­brin­gen und ihn auf ei­nem Schlit­ten zum Kre­ma­to­ri­um trans­por­tie­ren.
Dort wür­de er un­ter dem plötz­li­chen An­sturm des Feu­ers zu bren­nen be­gin­nen, das
ro­te Haar wür­de noch ein­mal knis­tern und Fun­ken sprü­hen, der star­re Kör­per
wür­de sich in den Flam­men noch ein­mal auf­bäu­men, als wä­re er wie­der le­ben­dig
ge­wor­den – und dann wür­de al­les zu­sam­men­sin­ken zu Asche und Nichts und ein
biß­chen fah­ler Er­in­ne­rung.
    Lil­li­an blick­te auf
den Sarg. Wenn sie noch leb­te! dach­te sie plötz­lich. Konn­te es nicht sein, daß
sie noch ein­mal zu sich ge­kom­men war in die­sem un­er­bitt­li­chen Kas­ten? Gab es
das nicht manch­mal? Wer wuß­te denn, wie oft das ge­sch­ah? Man kann­te nur die
we­ni­gen Fäl­le, in de­nen Schein­to­te ge­ret­tet wor­den wa­ren, aber wer wuß­te, wie
vie­le schwei­gend er­stickt wa­ren, die man nie ge­fun­den hat­te? Konn­te es nicht
sein, daß Agnes So­mer­ville jetzt, ge­ra­de jetzt, in der en­gen Dun­kel­heit der
ra­scheln­den Sei­de zu schrei­en ver­such­te, mit ver­trock­ne­ter Keh­le, oh­ne einen
Laut her­vor­brin­gen zu kön­nen?
    Ich bin ver­rückt,
dach­te Lil­li­an; was den­ke ich da? Ich hät­te nicht hier­her ge­hen sol­len! Warum
ha­be ich es ge­tan? Aus Sen­ti­men­ta­li­tät? Aus Ver­wir­rung? Oder aus die­ser
ent­setz­li­chen Neu­gier her­aus, noch ein­mal in ein to­tes Ge­sicht zu star­ren wie
in einen Ab­grund, dem man viel­leicht doch noch ei­ne Ant­wort ent­rei­ßen kann?
Licht, dach­te sie, ich muß Licht ma­chen!
    Sie ging zur Tür
zu­rück; aber plötz­lich blieb sie ste­hen und lausch­te. Sie glaub­te ein Knis­tern
ge­hört zu ha­ben, sehr lei­se, aber deut­lich, als kratz­ten Nä­gel auf Sei­de. Rasch
dreh­te sie den Schal­ter an. Das schar­fe Licht der un­ge­schütz­ten Lam­pe an der
De­cke trieb die Nacht, den Mond und das Ent­set­zen zu­rück. Ich hö­re Ge­spens­ter,
dach­te sie. Es war mein ei­ge­nes Kleid. Es wa­ren mei­ne ei­ge­nen Nä­gel. Es war
nicht ein mü­der, letz­ter Rest von Le­ben, der sich noch ein­mal ge­regt hat.
    Sie starr­te wie­der
auf den Sarg, der jetzt im grel­len Licht stand. Nein – die­ser schwar­ze,
po­lier­te Kas­ten mit den Bron­ze­grif­fen ent­hielt kein Le­ben mehr. Im
Ge­gen­teil – in ihm war die fins­ters­te Dro­hung ein­ge­schlos­sen, die die
Mensch­heit kann­te. Es war nicht mehr Agnes So­mer­ville, ih­re Freun­din, die in
ih­rem gol­de­nen Klei­de re­gungs­los, mit ge­stock­tem Blut und zer­fal­len­den Lun­gen
in ihm lag – es war auch nicht mehr das wäch­ser­ne Ab­bild ei­nes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher