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Elurius (Vater der Engel) (German Edition)

Elurius (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
Autoren: Yvonne Gees
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Tat war das Gemälde von einer bestechenden Detailgenauigkeit, die der Wirklichkeit äußerst nahe kam: Die Dame saß in repräsentativer Haltung, als achtungsgebietende Ehefrau eines großen Unternehmers, auf dem Canapé, das Haar streng gescheitelt und das Kinn selbstbewusst vorgestreckt. Man konnte meinen, dass sie sich jeden Augenblick erheben und mit zielgerichteten Schritten aus dem Bild heraus ins Zimmer treten würde.
    Jesco führte den Pinsel mit großer Sorgfalt und Geduld. Seine Beobachtungsgabe war bewundernswert. Und die Art, wie er das Gesehene umsetzte, war kompromisslos ehrlich.
    „Dieses Bild“, sagte er jetzt dicht an ihrem Ohr, „wird mich für einige Zeit über Wasser halten. Die Miete für das Atelier ist schon eine Weile fällig. Und jetzt kann ich sie endlich bezahlen.“
    Tadeya wandte leicht den Kopf und blickte in sein Gesicht, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Seine Augen waren so grau wie das Meer dort draußen, das eben noch mit tausend Zungen nach ihr und dem Pferd geleckt hatte. Die Urgewalt des Wassers spiegelte sich in ihnen, auf dem Grund einer starken Seele. Tadeya teilte nicht immer seine Meinung. Sie teilte nicht einmal seinen Glauben, doch sie brachte seiner Lebensauffassung große Achtung entgegen, denn diese war auf ehrlichen Überzeugungen gegründet, die er offen und rückhaltlos vertrat.
    „ Vielleicht möchte Elisa dir einen Auftrag erteilen“, meinte Tadeya. „Sie ist eine Bewunderin der Kunst und hat bereits einige sehr schöne Gemälde von anderen Künstlern erworben.“
    „ Deine Großmutter?“ fragte er und hob die Augenbrauen. „Na, dann lerne ich die große Dame vielleicht endlich einmal kennen.“
    „ Du weißt, dass sie dich vom Scheitel bis zur Sohle prüfen wird“, meinte Tadeya und blinzelte ihm lächelnd zu. „Elisa nimmt ihre Pflichten als meine Ziehmutter sehr ernst.“
    „ Ich habe keine Angst davor“, erwiderte er ihr. „Auch Elisa ist nur ein Mensch.“
    Tadeya streckte den Kopf vor und gab ihm einen warmen Kuss auf die Wange. Dann trat sie einige Schritte zurück und heftete den Blick wieder auf das Gemälde, das auf der Staffelei stand.  Die gemalte Dame starrte sie streng von ihrem Canapé aus an. Die nicht eben zierlichen Hände ruhten auf den Armlehnen, auf der Stirn zeichnete sich eine einzige steile Falte ab. Durch das Fenster im Hintergrund des Gemäldes war das Meer zu sehen: stürmische, graue Wellen mit sprühender Gischt.
    Unweigerlich lenkte dieser Anblick Tadeyas Gedanken wieder auf ihren Ritt am Strand entlang. Ihr Haar war jetzt noch feucht und zerzaust von dem Unwetter, das um sie herum getobt hatte. Doch durch das Atelierfenster fiel bereits wieder ein freundlicher Sonnenstrahl, der auf den Parkettboden einen länglichen Lichtspalt zeichnete.
    Ein Lichtblitz ohne Donner – und eine Gestalt auf den Klippen . Sie sah das Bild wieder deutlich vor sich: Die schwarze Gestalt eines Menschen, die sich vor dem grauen Himmel abzeichnete, dem Sturm entgegengebeugt. Das Gefühl, das diese Erinnerung in ihr wachrief, war Beklemmung.
    Draußen wurde die Türglocke geläutet und Tadeya bemühte sich, den Strom ihrer unheilvollen Gedanken zu durchbrechen und in die Gegenwart zurückzukehren. „Frau Neuberg“, sagte Jesco und ging, um zu öffnen. Die Dame befand sich in Begleitung eines Bediensteten, der offensichtlich ihre Neuerwerbung für sie transportieren sollte. Das Atelier war in dem Moment, als sie die Schwelle überschritt, von ihrer harten Präsenz erfüllt. Die dunkle, herbe Stimme passte perfekt zu ihrem grobknochigen, breitschultrigen Körper in dem schwarzen, strengen Kleid.
    „Ich bin gespannt auf Ihr Werk, Herr Fey. Ich durfte es zuletzt im frühen Anfangsstadium bewundern.“ Erhobene Augenbrauen, ein langer, durchdringender Blick in Richtung Tadeya. Die Gedanken waren klar: Wer ist diese ungepflegte Person? Frau Neuberg war ohne Frage mit der Kutsche hergekommen, von Haustür zu Haustür geleitet durch ihren diensteifrigen Begleiter. Der Wind hatte nur für wenige Sekunden Zugriff auf ihr sorgfältig hochgestecktes Haar gehabt. Tadeya war im Gegensatz dazu direkt durch den Sturm geritten, und sie bot sicherlich ein dementsprechendes Bild.
    Der skeptische Blick der Dame schien Jesco nicht im geringsten peinlich zu sein. Ohne sich irgendetwas anmerken zu lassen, stellte er sie in knappen Worten einander vor. "Frau Neuberg. Tadeya Sleyvorn, Enkelin von Elisa Sleyvorn."
    Gleich darauf lenkte er die Aufmerksamkeit
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