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Elsas Küche: Roman (German Edition)

Elsas Küche: Roman (German Edition)

Titel: Elsas Küche: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Fitten
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sich nach oben. Er ist stark , dachte sie. Tüchtig . Der Küchenchef küsste sie auf den Mund und dann auf den Hals. Es war angenehm, und ihr kam der Gedanke, ihn zu umarmen. Sie musste jedoch feststellen, dass sie die Arme nicht heben konnte, und so stand sie verlegen da, mit herabhängenden, schweren Händen. Als hielte sie in jeder Hand eine Gans an den Füßen.
    »Nicht bei der Arbeit!«, seufzte sie, weil sie zwischen seinen Küssen irgendetwas sagen musste.
    »Du bist irgendwie sauer auf mich«, sagte er. »Das merke ich. Wenn du möchtest, kann ich heute Abend vorbeikommen.«
    Er ließ ihr Gesicht los, drückte sie aber mit einem Arm weiter an sich. Er schmiegte sich an sie und murmelte ihr etwas ins Ohr. Selbst im Kühlraum spürte Elsa ihre Haut brennen. Ihr war warm. Seine massige Gestalt gab ihr das Gefühl, neben einem Ofen zu stehen. Sie wusste nicht, ob sie sich deswegen besser oder schlechter fühlen sollte. Jedenfalls kam sie sich albern vor. Ohne Vorankündigung ließ er sie plötzlich los, und sie fühlte sich hilflos. Er stapelte die Dosen fertig auf und ließ Elsa im Kühlraum stehen. Beim Hinausgehen berührten sich ihre Finger. Er sagte nichts mehr. Er blinzelte ihr zu, und Elsa schüttelte den Kopf.
    »Was tu ich da eigentlich?«, sagte sie leise vor sich hin.

    So vergingen Wochen, in denen es Elsa jedoch fertigbrachte, ihr wachsendes Unbehagen zu verbergen. Ihre immer stärker werdende Deprimiertheit und Mutlosigkeit bliebenstumm und unsichtbar, so still wie ein Topf frischen Wassers, den man gerade erst zum Kochen aufgesetzt hatte. Doch schon bald fing sie an zu brodeln. Sie schlief länger, fühlte sich aber gleichzeitig, als hätte sie kein Auge zugetan. Sie kam später als üblich zur Arbeit. Niemand außer dem Küchenchef – der neben ihr schlief – merkte etwas. Doch selbst er nahm sie nicht besonders ernst.
    »Natürlich bist du müde«, sagte er verständnisvoll. »Wer wäre das nicht?«
    Wenn er so etwas sagte, hätte Elsa ihn am liebsten gekratzt. Sie wollte sein Verständnis nicht.
    Elsa fragte sich, ob sie die Einzige war, die so empfand. Wohl schon, dachte sie. Wenn sie durch die Gaststube zur Küche ging oder jemand sie ansprach und sie ihre Gäste betrachtete, kam ihr unweigerlich der Gedanke, wie völlig anders sie doch waren. Wenn Elsa ihnen in die Augen sah und sich anstrengte, Kontakt zu ihnen herzustellen, war sie überrascht, wie glücklich sie alle aussahen.
    Zugegeben, wer in der Tulpe , ihrem Restaurant, aß, war zufrieden ... selbstzufrieden ... fast selbstgefällig in seiner Zufriedenheit mit dem Leben. Daran war für diese Leute nichts Zweitklassiges. Männer fanden, dass die Gäste mindestens fünfzehn Kilo Übergewicht hatten. Frauen fanden, dass es Blender waren, die dick auftrugen. Dick, neureich und besinnungslos glücklich wie ausgebrochene Walrosse, die über das Zoogelände platschten, wie entlaufene Strauße, die dort in Schal und Zylinder herumstolzierten. Existenzielle Krisen kannten sie nicht. Sie bestellten Lamm und verschlangen Lamm. Dann leckten sie sich über die Lippen, stocherten in ihren Zähnen und bestellten den Nachtisch. Sie lächelten sich an – einer den anderen ebenso wie das eigene Spiegelbild in den silbernen Wandspiegeln. Sie kniffeneinander unter dem Tisch in die Schenkel. Sie nickten sich zu und rülpsten in ihre Servietten oder zogen sich auf die Toilette zurück, wo ihre Gedärme rumorten und Exkremente ausschieden, anstrengungslos, ohne Seufzer und ohne den geringsten Erleichterungspfiff. Verträumt gingen sie an ihre Plätze zurück und fingen von vorne an. Wie Uhrwerke. Berechenbar wie die Schweizer. Das Leben war einfach. Was blieb Elsa anderes übrig, als ihnen zuzulächeln und zuzunicken, sie zu ermutigen und ab und zu aufzuziehen?
    Manchmal hatten sie Verbesserungsvorschläge.
    »Stellen Sie doch ein, zwei Tische weg. Dann sieht das Restaurant nicht so voll aus«, sagte einer.
    »Sie sollten Vorhänge aufhängen, damit wir nicht dauernd die bettelnden Zigeuner draußen sehen«, sagte der Professor der Geisteswissenschaften. »Sie sind immer in der Nähe, klopfen an die Scheibe, kaum ist man draußen, ziehen sie einen am Jackett. Sie sind eine Plage.«
    »Sie sollten größere Portionen servieren.«
    »Kleinere Portionen wären besser.«
    »Ich will nur Ihr Bestes!«, riefen sie alle.
    Elsa riss die Augen auf und dankte ihnen. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Für die Gäste lächelte sie ein zwei Zahnreihen
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