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Elsas Küche: Roman (German Edition)

Elsas Küche: Roman (German Edition)

Titel: Elsas Küche: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Fitten
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eine Frage des Nationalstolzes, könnte man sagen.
    Ihr Paprikahühnchen war scharf und ganz leicht süß. Sie servierte es auf Eiernudeln – klassische Hausmannskost für 1000 Forint, ein Verkaufsschlager, denn keiner von ihren Gästen hatte jemals solch ein schmackhaftes Paprikahühnchen gegessen.
    Es kam vor, dass ein Gast nach dem ersten scharfen Bissen rief: »Erinnert an meine Großmutter.«
    Dann nickten die anderen, ließen sich schmecken, was sie im Mund hatten, und deuteten auf ihre Teller. Der aromatische Dampf stieg in Kringeln in ihre Nasen. Sie dachten an die Küchen auf dem flachen Land, an kurze Hosen und an die Gänse, die Jagd auf sie gemacht hatten.
    »Das ist besser als bei meiner Großmutter«, wagte sich einer vor.
    »Besser?«, fragte der Polizist mit dem Motorrad. Er liebte seine Großmutter. So etwas zu sagen war für ihn Verrat. Er wischte sich mit der Serviette über die Stirn. Er ließ seinen Revolver auf dem Tisch rotieren.
    »Süßer«, schlug er vor. »Nein, schärfer.«
    »Süßer? Schärfer? Ja, genau. Alles zusammen«, sagte ein anderer.
    Sie aßen schweigend. Sie konzentrierten sich und widmeten sich der angenehmen Aufgabe, gabelweise Hühnchenmit Nudeln in ihre Münder zu schaufeln. Sie seufzten, und Tränen traten ihnen in die Augen, als sie an ihre Großmütter dachten, die sie abgöttisch liebten.
    Die pikante Soße rann ihnen die Kehle hinab. Die Nudeln zergingen auf der Zunge. Sie kauten das saftige Hühnchen, bis nur noch die Schärfe in ihrem Mund blieb. Sie schluckten und bekamen fast einen Lachanfall. Wegen Geflügel! Beim Essen wechselten sie kein einziges Wort. Geschwind glitten Arme und Hände über die Teller. Sie wischten die tiefrosafarbene Soße und die letzten Fleischstückchen mit Brot auf und stöhnten vor Wonne. Als sie fertig waren, riefen sie den Kellner. Er trat selbstbewusst auf sie zu und nickte, auch wenn er jung war und seine Fliege schief saß. Er wurde nach dem Paprikahühnchenrezept gefragt. Es war immer dieselbe Frage. Jeder, der das Paprikahühnchen bestellte, fragte danach. Welche besondere Zutat brachte sie so gefährlich nahe an lustvolle Zuckungen?
    »Es ist nur Hühnchen«, sagte der Kellner mit tonloser Stimme und starrte ins Leere.
    Die Gäste schüttelten die Köpfe. Sie zeigten auf ihre blanken Teller, ihre geröteten Wangen.
    »Nein, nein und nochmals nein. Dass es Hühnchen ist, weiß ich, Sie Simpel. Das sehe ich auch! Aber da ist noch was anderes drin. Ich kann es schmecken! Ich will wissen, was das ist. Was ist da noch drin?«
    Der Kellner lächelte schwach, starrte aber weiter ins Leere. Die Gäste stutzten.
    »Wir möchten gerne die Küchenchefin sprechen«, sagten sie.
    Elsa wurde aus ihrem Büro in der Küche gerufen. Sie hatte Bleistifte gespitzt und eine Zeitschrift gelesen, während der Küchenchef und die anderen Köche die Gerichte kochten,die sie ihnen beigebracht hatte. Sie ging zu ihren Gästen. Sie lächelte. Sie betrachtete ihre gerötete Haut. Sie sah, dass sie die Stoffservietten heftig traktierten. Post coitum. Sie schob das Kinn vor und lächelte.
    »Was ist da alles drin?«, fragten sie unverblümt.
    »Es ist ein Paprikahühnchen«, sagte sie.
    »Aber was ist genau drin in der Soße?«
    »Oh«, sagte sie lächelnd, »nur das Übliche – ein paar Zwiebeln und Paprika.«
    »Schon, aber was ist in der Soße?«
    Elsa lächelte noch mehr. Sie lachte kurz auf, und es klang wie eine leise Glocke. Sie sah den Kellner an und legte ihre flatternden Hände auf seine Schultern. »Das kann ich leider nicht verraten. Es ist ein Geheimrezept. Sie müssen einfach wieder herkommen.«
    Die Gäste bettelten umsonst. Stattdessen bot sie ihnen verschiedene Portweine oder Tokajer an, die der Kellner ihnen einschenkte. Der süße Geschmack ließ sie verstummen. Sie sah zu, wie sie beim Schlucken die Augen schlossen. Es war, als zerrte jemand ein letztes Mal an ihrem Geschlecht. Wie ein letztes Zungenschnalzen. Sie waren sprachlos vor lauter Ehrfurcht. Dankbar und hingerissen. Dann ging Elsa weg, voller Sehnsucht nach irgendetwas, das imstande war, sie ebenso euphorisch zu stimmen.

    Damit begann ihr Leiden: Nachdem sie es an einem Sonntag mit blauem Himmel erstmals bemerkt hatte, wurde sie immer unzufriedener mit ihrem Leben. Nachts wälzte sie sich hin und her – ganz gleich, ob der Küchenchef bei ihr war oder nicht. Sie begann, mit den Zähnen zu knirschenund im Schlaf zu reden. Ihr Kopf dröhnte mit jedem Herzschlag, und sie stieß
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