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Elke im Seewind

Elke im Seewind

Titel: Elke im Seewind
Autoren: Emma Gündel
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herunter von ihrem Taubündel, um sich den drei anderen anzuschließen. Ruth trägt brav den Beutel mit ihrer Handarbeit über den Arm gehängt. Sie fürchtet wohl, das verhältnismäßig kleine Ding könnte verloren gehen, wenn sie es bei den Rucksäcken und Handkoffern läßt, die während ihrer Abwesenheit von Herrn und Frau Schwarz bewacht werden.
    Katje und Ruth kehren eine Viertelstunde später als erste zu ihren Klappstühlen am Bug zurück. Lotti steht noch drüben beim warmen Schornstein und schlürft mittels eines Strohhalms Brause. Wegen des reichlichen Taschengeldes, das eine Tante ihr zugesteckt hat, scheint sie wenig Appetit auf den Milchkaffee zu haben, den ihre Mutter ihr mitgegeben hat. Elke spielt hinten am Heck des Schiffes mit zwei allerliebsten, schwarzen Langhaardackeln. Sie hat zu Hause selber einen Hund, das Drahthaarfoxel Ali, und versteht gut, mit. Hunden umzugehen. Schließlich aber nimmt das Herrchen von „Hein und Tetje“ die Hunde dann an die Leine, und das Spiel ist aus.
    Elke wischt sich mit dem Taschentuch notdürftig ihre schmutzig gewordenen Knie ab und rückt sich ihre blaue, ins Rutschen gekommene Baskenmütze wieder zurecht. Der hellgraue Wollmantel, den sie trägt, hat durch die Hundepfoten kräftige dunkle Verzierungen bekommen. Elke klopft an ihnen herum und tröstet sich schließlich damit, daß Mutti gesagt hat, der Mantel soll nach der Reise gereinigt werden.
    Als Elke nach ziemlich langer Zeit wieder zu den Kameradinnen zurückkehrt, haben die auf den Vorschlag von Frau Schwarz eben damit begonnen, die Butterbrote aufzuessen, die sie von zu Hause als Mittagessen mitbekommen haben. „O ja“, sagt Elke, als sie das sieht, „ich hab’ auch Hunger.“ Sie beguckt ihre Hände. So besonders sauber sind sie nicht geworden, weil im Waschraum keine Seife war. Aber sie findet, es geht.
    Als Elke dann auch dasitzt und ihren Hunger stillt, fällt es ihr auf, daß Katje sie immer wieder ansieht und dabei jedesmal auch ein bißchen zur Seite blickt. Elke denkt, daß Katje ihre noch nicht wieder ganz sauberen Knie meint, und hält Ausschau, ob vielleicht Bekannte da sind, die Anstoß nehmen könnten. Als sie niemand entdeckt, zuckt sie die Achseln. „Ich weiß nicht, was du meinst“, soll das bedeuten.
    Aber schon wenige Augenblicke später weiß sie es dann doch. Eine ältere Dame und ein junger Mann, Mutter und Sohn, haben sich neben Katje gesetzt, während Elke fort war und mit den Hunden spielte. Der Sohn ist blind. Elke begreift nicht, wieso sie das nicht sofort gesehen hat. Sie denkt jetzt daran, daß Katje und sie vor gar nicht langer Zeit viel über Blinde gesprochen haben. Das war, als Elkes Onkel Bernhard in einem Brief geschrieben hatte, daß sich eigentlich jeder Mensch vornehmen müßte, immer einmal für eine längere Weile die Augen zu schließen und sich genau zu überlegen, was er alles entbehren müßte, wenn er das Licht seiner Augen verloren hätte.
    Ja, das hatte der Onkel Bernhard geschrieben, denn er legte seiner Lieblingsnichte gern einmal einen ernsteren Gedanken ans Herz.
    Tatsächlich hatten Elke und Katje sich dann vorgenommen, gleich in den nächsten Ferien einmal einen ganzen Tag mit einer dunklen Binde um die Augen herumzugehen. Aber bei Katje hatte sich dieses Vorhaben dann überhaupt nicht ausführen lassen: Ihre Mutter, die Schneiderin ist, hatte gerade viele Näharbeit gehabt, und das Kind mußte deshalb alle notwendigen Hausarbeiten übernehmen, und Elke hatte schon nach zehn Minuten die Geduld verloren. Das war ja ganz entsetzlich, fand sie, wenn man so im Finstern herumtappen mußte. Man konnte sich ja überhaupt nicht beschäftigen. Und dabei hatte sie ja noch ihren Ali, ihr Foxel, mit dem sie spielen konnte, aber auch das war nur halb so schön, wenn man Ali während des Spielens nicht beobachten konnte. Außerdem hatte sie sich an einer Tischkante furchtbar den Kopf gestoßen. Ob es auch Kinder gab, die blind waren? Ja, bestimmt gab es blinde Kinder. O wie entsetzlich bloß.
    Und nun erlebt Elke es zum erstenmal in ihrem Leben, daß sie einem Blinden lange gegenübersitzt und Gelegenheit hat, ihn zu beobachten. Der junge Mann sitzt mit geschlossenen Augen da, und sein Gesicht hält er dem Wind entgegen. Er mag es offenbar gern fühlen, wenn der Wind darüber hinstreicht. Seine Mutter sagt die ganze Zeit leise etwas zu ihm, stellt Elke dann fest und beginnt hinzuhorchen. „Möwen“, versteht sie. „Grün und ganz blank das Wasser —
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