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Elke, der Schlingel

Elke, der Schlingel

Titel: Elke, der Schlingel
Autoren: Emma Gündel
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der mir
aufrichtige Freude bereitet hat. Ich möchte diesen Brief der Klasse vorlesen.“
    Fräulein Samtlebens Gesicht wurde
unbeschreibbar lang. „Ich hab’ mit Elke gerade gescholten“, sagte sie richtig
etwas verlegen.
    Der Direktor erwiderte: „Natürlich, so
ein Gemälde macht einem ja zunächst nicht gerade Freude.“ Dann sah er lächelnd
zu Elke hinüber und faltete seinen Brief auseinander. Elke machte ein Gesicht,
als wenn sie die ganze Welt nicht mehr verstände. Was war das nun bloß für ein
Unsinn, daß der Direktor den Brief vorlesen wollte. Es war doch alles
übertrieben, was in dem Brief stand!
    Nein, Elke wurde wirklich nicht schlau
aus dem, was sie in dieser Stunde erlebte. Fräulein Samtleben schalt sie aus
wegen etwas, was gar nicht so schlimm gemeint
    gewesen war, und die fremde Dame, die
an den Direktor geschrieben hatte, lobte sie wegen etwas, was längst nicht so
großartig war, wie in dem Brief drinstand!

    Aber da begann der Direktor auch schon
mit dem Vorlesen des Briefes: Er lautete so:
     
    Hamburg,
    den 22. Nov,
19..
    Sehr geehrter Herr Direktor!
    Wenn ich mir erlaube, einen Brief an
Sie zu schreiben, so tue ich es in der Überzeugung, daß Sie als Leiter der
Mädchenoberrealschule unseres Stadtteils erfreut sein werden, über eine Ihrer
Schülerinnen etwas ganz besonders Gutes zu hören.
    Ich bin gelähmt und sitze immer viel
am Fenster, weil ich gerne sehe, was auf der Straße vor sich geht. Heute
nachmittag gegen fünf Uhr beobachtete ich folgendes: Vier Mädchen kamen die
Kanalstraße herunter und blieben vor der Dampferanlegestelle Lindenstraße
stehen. Dann gingen sie die Treppe hinunter, die zur Schiffsbrücke führt, und
eines der vier Mädchen beging die große Torheit, aufs Eis hinunterzuspringen.
Das Mädchen muß sofort ins Eis eingebrochen sein, denn es war plötzlich verschwunden.
Das eine der Mädchen warf sich auf den Boden der Schwimmbrücke nieder und griff
nach der Verunglückten und hielt sich selbst dabei an einem der in den Boden
eingelassenen Eisenringe fest. Die beiden anderen Mädchen liefen laut schreiend
fort.
    Die Straße war, von einem
Straßenfeger, der seine Arbeit verrichtete, abgesehen, ganz menschenleer, und
ich nahm an, daß die Kinder auf den Straßenfeger zuliefen, um ihn zur Hilfe
herbeizurufen. Aber sie waren anscheinend ganz kopflos geworden, denn sie liefen
an ihm vorbei, ohne ihn von dem Unglücksfall in Kenntnis zu setzen. Es gelang
mir dann mit einiger Mühe, mein Fenster zu öffnen und den Mann durch Zuruf von
dem Unfall zu unterrichten. Der lief dann auch sofort an die Unglücksstelle.
Aber es sind bestimmt mehrere Minuten vergangen, ehe der Straßenfeger unten auf
der Schiffsbrücke ankam, und während all dieser Minuten hat das Kind, ( das
bei der Verunglückten geblieben war, sicher die größte Mühe gehabt, die
eingebrochene Gefährtin und sich selbst festzuhalten.
    Ich habe den Namen des tapferen Kindes
ausfindig machen können. Es heißt Elke Tadsen und besucht die Sexta Ihrer
Schule. Elke hat sich hilfreich und sehr geistesgegenwärtig gezeigt. Sie hat
meiner Meinung nach das größte Lob verdient, denn wenn sie genau so
davongelaufen wäre wie die beiden anderen Mädchen, die dem. Aussehen nach älter
waren als sie, dann hätte ein großes Unglück geschehen müssen. Elke hat es
verhütet, und ihr gebührt deshalb Anerkennung.
     
    Mit verbindlichem Gruß
    Frau Minna Seyderhelm Wwe.
     
    Elke saß mit rotem Kopf da und
lächelte verlegen die Mitschülerinnen an, die sich nach ihr umdrehten oder die
Hände zu ihr herüberreichten.
    „Freu dich doch!“ wurde Elke von ihren
Nachbarinnen aufgemuntert. „Stummelschwänzchen kann dir jetzt nichts mehr
anhaben. Sie schreibt dich sicher nicht mal ein!“
    Es war Elke im Augenblick ganz
einerlei, ob sie eingeschrieben wurde oder nicht. Sie mochte es nicht haben,
wenn sie so gelobt wurde. Der Brief von der gelähmten Dame lobte sie viel zu
sehr. Da war doch gar nichts dabei gewesen, daß sie das eingebrochene Mädchen
schnell festgehalten hatte. Die beiden anderen hatten angefangen zu brüllen und
waren weggelaufen. Na ja, das war dösig von ihnen gewesen. So war sie nicht
gewesen. Das war aber auch alles!
    Elke hörte nur mit halbem Ohr zu, als
der Direktor nun noch seine eigene Meinung über die Angelegenheit aussprach.
Wieder wurde sie gelobt, es war schrecklich!
    Der Direktor unterbrach sich.
    „Nun sieh einer die Elke an!“ sagte
er. „Sie macht ein ganz böses Gesicht, weil
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