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Elfenwinter

Elfenwinter

Titel: Elfenwinter
Autoren: Bernhard Hennen
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Wurzelwerk eines Mangobaums hinwegstieg, dann war sie im Spiel von Licht und Schatten verschwunden.
    Der Schwertmeister drapierte das Schweißtüchlein wieder hinter dem Gürtel. Kritisch sah er an sich herab und zupfte sein Seidenwams zurecht, damit sich die stählerne Brustplatte, die er darunter verborgen trug, nicht allzu deutlich durch den dünnen Stoff abzeichnete. Heute Nacht hatte der Tod eine Verabredung mit Emerelle getroffen. Er würde zwischen die beiden treten!
    Ollowains Blick wanderte zu den Türmen, um die nun geisterhafte Lichter spielten. Er mochte Vahan Calyd nicht. Es hieß, die Alben hätten an diesem verwunschenen Ort einst ihre ersten Kinder erschaffen. Hier, wo der Wald und das Meer in riesigen Mangrovensümpfen ineinander übergingen, sodass es keine Küstenlinie gab, hier, wo Grenzen nicht mehr galten, schien alles möglich zu sein. Selbst die Jahreszeiten waren hier aufgehoben. Zumindest wenn man aus dem Norden kam und daran gewöhnt war, dass ein Jahr im Lauf der Zeit viele Gesichter hatte. Hier gab es nur schwüle Hitze. Nichts wurde jemals ganz trocken. Und die Mondwechsel unterschieden sich nur darin, dass es manchmal etwas mehr regnete.
    Ollowain strich sich mit fahriger Geste über die Stirn. Die meisten Elfen lernten schon als Kinder, sich mit einem Wort der Macht gegen Kälte oder Hitze zu wappnen. Sie konnten in der klirrenden Kälte von Snaiwamark ein dünnes Seidenhemd tragen, ohne zu frieren, oder auf dem Fest der Lichter hier in Vahan Calyd mit prächtigen Pelzen prunken, ohne einen Tropfen Schweiß zu vergießen.
    Ollowain hatte diesen Zauber niemals gemeistert. Und so schwitzte er. Nicht wie die Kentauren, deren nackte Oberkörper in der Dschungelhitze stets vor Schweiß glänzten, als hätten sie ihre Muskeln eingeölt. Nur hin und wieder stand dem Schwertmeister eine einzelne Schweißperle auf der Stirn, oder er spürte, wie sein Seidenhemd an seiner feuchten Haut klebte. Doch das war schon zu viel! Zu schwitzen war ungehörig. Es ziemte sich einfach nicht für den Kommandanten der Leibwache der Königin.
    Gleich, beim Festakt, würde er links von Emerelle stehen. Tausende Augenpaare würden auf ihm ruhen. Und er wusste, dass getuschelt werden würde. Er hasste es, unvollkommen zu erscheinen. Die Elfen waren das vollkommenste Volk unter den Albenkindern. Jenes, das die Alben zuletzt erschaffen hatten. Sie waren makellos, und etwas scheinbar so Unbedeutendes wie Schweiß in den Augenbrauen war für einen Elfen ein Stigma, wie es für einen Kobold ein von Pockennarben zerfressenes Gesicht gewesen wäre.
    Es war unziemlich von Silwyna gewesen, ihn so direkt darauf anzusprechen. Aber was wollte man von einer Maurawani schon erwarten! Ollowain wünschte, er hätte eine andere Wahl gehabt, als ausgerechnet sie in seinen Dienst zu nehmen. Würde sie ihn verraten, so wie sie einst seinen Ziehsohn Alfadas verraten hatte?
    Der Waffenmeister straffte sich. Es war dumm, seine Zeit mit fruchtlosem Grübeln zu vertun. Er rückte seinen Schwertgurt zurecht und stieg die breite Marmortreppe zum Innenhof hinab. Der Palast der Königin war ein himmelhoher Bau aus etlichen ineinander verschachtelten Türmen. Es gab mehr als ein Dutzend Höfe, und Terrassen umgaben den Turm wie Blätter einen Blumenstängel. Der größte Teil des Palastes war aus dem blauweißen Marmor der Ioliden erbaut. Üppige Bäume hatten ihre Wurzeln im Lauf der Jahrhunderte tief ins Mauerwerk gegraben. Sie hatten sich den Turm erobert, so als sei er nichts weiter als eine von Menschen geschaffene Klippe. Schlangenfarn wuchs die Wände hinauf, und überall sah man zarte Orchideen in Wurzelgabeln und auf windgeschützten Simsen, wo sich ein wenig Humus gesammelt hatte.
    Emerelle kam nur alle achtundzwanzig Jahre nach Vahan Ca-lyd. Immer wenn der Tag der ersten Schöpfung auf eine Neumondnacht fiel, wurde das Fest der Lichter begangen. Alle Fürsten der Albenkinder feierten hier gemeinsam, und vor langer Zeit war es Brauch gewesen, in dieser Nacht den König von Albenmark zu wählen. Doch Emerelle herrschte nun schon seit Jahrhunderten, und niemandem wäre es eingefallen, ihren Anspruch auf den Thron infrage zu stellen. Zur Wahl gegen Eme-relle anzutreten war aussichtslos. Sie war zwar durchaus nicht bei allen beliebt, doch waren die Fürsten der Albenkinder untereinander so zerstritten, dass niemand darauf hoffen durfte, eine Mehrheit gegen Emerelle zu erzielen. Doch sollte der Königin ein Leid geschehen… Dann wäre
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