Elfenblick
verstand nicht, was der Schattenfürst ausgerechnet von ihr wollte.
»Weil ich es verdient habe, König zu werden. Niemand sonst hat darauf das gleiche Anrecht wie ich«, erklärte Ferocius voll unterdrücktem Zorn.
Mit einer heftigen Handbewegung schlug er die Kapuze seines Umhangs zurück und Mageli erstarrte. Noch nie zuvor hatte sie ein derart grausam entstelltes Gesicht gesehen. Die Haut war über und über vernarbt und wirkte, als habe jemand alte Lederfetzen wahllos aneinandergenäht. Die Lippen waren schmal und so fest über die Zähne gespannt, dass es dem Gesicht einen raubkatzenhaften Ausdruck verlieh. Die Nase wirkte viel zu flach und die kalten schwarzen Augen zu groß, denn ihnen fehlten die Lider. Das Schlimmste aber war, dass Mageli hinter der Fratze erkennen konnte, wie wunderschön dieses Gesicht einmal gewesen sein musste. Scharf zog sie die Luft ein.
»Ja, so endet man, wenn man seiner Königin das Leben rettet«, fuhr Ferocius höhnisch fort. »Und seinem kleinen König versehentlich auch.«
Mageli fiel sofort die Geschichte ein, die Ondulas ihr erzählt hatte. Das Feuer musste Ferocius so entstellt haben. Es war also wahr. Trotzdem verstand sie eine Sache immer noch nicht: »Was habe ich mit alldem zu tun?«, hakte sie nach.
»Ebenfalls eine interessante Frage«, entgegnete Ferocius. »Leider habe ich keine Gelegenheit mehr, dir darauf eine Antwort zu geben. Aber du wirst jetzt alle Zeit der Welt haben, um dir selbst eine zu überlegen.« Noch einmal ließ Ferocius sein heiseres Lachen hören, dann wurde seine Gestalt durchscheinend und er verschwand.
Mageli starrte einen Moment auf die Stelle, an der eben noch der Schattenfürst gestanden hatte. Ihre Augen brannten und sie wurde unendlich müde. Warum fühlte sie sich plötzlich so schlapp? Jede Bewegung kostete sie furchtbar viel Mühe.
Sie musste den Weg aus dem Traumlabyrinth suchen! Immerhin hatte sie hineingefunden, also schaffte sie es vielleicht auch wieder hinaus …
Aber sie war so müde. So schrecklich müde!
Niemand kann sich aus eigener Kraft aus dem Traumverlies befreien. Alawins Erklärung fiel Mageli wieder ein. Aber was bedeutete das? Dass sie für immer in diesem grell erleuchteten Labyrinth gefangen war? Ja, vermutlich hieß es genau das.
Sie hätte schreien können! Aber sie fühlte sich zu erschöpft. Und außerdem hörte sie ja ohnehin niemand.
Die Tore standen weit offen, als Fürst Ferocius sich dem Palast näherte. Gut. Seine kleine Armee hatte ihm also bereits den Weg bereitet. Bester Laune schritt Ferocius durch die schweren hölzernen Torflügel. Zwar fand er es nicht gerade erfreulich, dass Damorian und seine Truppe versagt hatten und sich der Körper des Mädchens noch immer in den Händen der Widerständler befand. Doch auch für dieses Problem würde er eine Lösung finden. Später. Wenn er erst einmal König im Elfenreich war.
Zehn Wachen in dunkler Ledermontur standen hinter dem Tor in Position. Ferocius nickte ihnen knapp zu und sie grüßten ehrerbietig. Auf einen Wink seiner Hand lösten sich vier der Bewaffneten von der Gruppe und folgten dem Fürsten in den Palast. Auch in der langen Eingangshalle patrouillierten bereits die Dunkelelfenkrieger, stellte Ferocius zufrieden fest. Die Palastwachen waren seiner Anweisung gemäß entfernt worden. Vier Männer standen mit gezogenen Krummschwertern vor den geschlossenen Holztüren, hinter denen der große Saal lag.
»Ist er dort drinnen?«, fragte Ferocius einen von ihnen.
Der Angesprochene nickte.
»Und der Junge?«
Nun schüttelte der Dunkelelf den Kopf und schaute betreten zu Boden.
»Wir konnten ihn nirgends finden, mein Fürst.«
Ferocius schnaubte ungeduldig. Seine gute Laune drohte zu schwinden. Noch ein Problem, dessen er sich annehmen musste. Aber jetzt wollte er erst einmal Rache nehmen. Und er wollte sie genießen. Schwungvoll stieß er die reich verzierten Saaltüren auf.
»Ferocius!« Der König saß auf seinem prunkvollen Thronsessel und blickte düster durch den riesigen leeren Saal. Als sein Berater eintrat, glättete sich seine sorgengefurchte Stirn.
»Mein König.« Ferocius verbeugte sich leicht und schlug seine Kapuze zurück. Ihm entging nicht, dass der König für einen kurzen Moment die Luft anhielt. Dabei sollte Livian sich eigentlich inzwischen an den Anblick gewöhnt haben, dachte er grimmig.
»Ferocius, was geht hier vor?« Der König klang ein wenig empört, aber vor allem erstaunt. Warum eigentlich?, fragte der
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