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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter
Autoren: Dawn Rae Miller
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höre seine Worte, aber der Drang zu fliehen ist überwältigend. Ich wehre mich weiter.
    »Du musst deinen Verstand klären und an den See denken. Denk an die Musik und daran, wie glücklich du warst. Bitte, Vögelchen. Bitte versuch es.«
    Über das hartnäckige, quälende Getöse hinweg erreicht mich Becks Flehen, und ich höre auf, mich zu wehren. Das Summen wird so langsam, dass ich mich auf meine Gedanken konzentrieren kann. Ich spüre Becks Wange auf meinem Kopf, und die Erinnerung daran, wie seine tiefe Stimme mir etwas vorgesungen hat, durchströmt mich. Der Lärm verklingt.
    Ich öffne die Augen. Zuerst sehe ich nur Beck, der mich anstrahlt, doch dann nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, dass Mrs. Channing, Eloise und alle anderen bis auf Beck und Bethina sich wiegen und einen Sprechgesang angestimmt haben. Aber ich kann sie nicht hören.
    »Was ist passiert?« Ich richte die Frage an Beck. Niemand achtet auf uns.
    »Sie versuchen, deine Magie in Schach zu halten, weil du nicht mehr ummantelt werden kannst. Das lasse ich nicht zu.« Er grinst selbstzufrieden. »Das ist ein Vorteil davon, dass du nun an mich gebunden bist.«
    »Was stimmt nicht mit ihnen?« Die Körper der stummen Sänger bewegen sich im Gleichtakt.
    »Wir haben sie mit einem Zauber belegt. Ich war in der Lage, dich so weit zu beruhigen, dass du dich konzentrieren konntest, und so haben wir uns gemeinsam abgeschirmt. Sie haben keine Ahnung davon.« Die Gestalten fassen sich an den Händen und erzittern leicht.
    »Wie? Ich weiß nicht, wie man Zauber wirkt.«
    »Alles, was du tun musstest, war, an etwas zu denken, das dich glücklich macht. Ich habe mich deiner Gefühle bedient und den Rest erledigt.«
    Ich neige den Kopf leicht zur Seite und verarbeite Becks Antwort. Wie damals, als ich meine Kette wiedergefunden habe – ich kann also Magie wirken oder zumindest dabei helfen. Interessant.
    »Was ist mit Bethina?« Sie ist sehr still.
    »Mir geht es gut, Lark.« Ihre Stimme überrascht mich. »Beck hat den Zauber nicht gegen mich gewirkt.«
    »Oh. Ich wusste nicht, dass du mich hören kannst.«
    »Ich höre euch beide glasklar.« Sie verschränkt die Arme. »Da schmiedet ihr nun Pläne und stürzt euch selbst noch tiefer ins Unglück. Von dir« – sie zeigt auf Beck – »erwarte ich ein solches Verhalten ja schon. Aber von dir …« Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Von dir erwarte ich mehr, Lark.«
    »Von mir?«, fahre ich auf, weil ich immer noch verärgert darüber bin, dass sie mich vorhin geschüttelt hat. »Wirklich? Ich bin doch die Dunkelhexe, schon vergessen? Soll ich nicht völlig unberechenbar, launisch und böse sein?«
    »Du bist vielleicht eine Dunkelhexe, aber du hast eine Vorliebe für Regeln«, knurrt Bethina. »Jetzt zieh dir gefälligst etwas an, junge Lady.«
    Ich werfe einen Blick auf mein durchscheinendes Baumwollnachthemd. Hitze breitet sich über mein Gesicht aus. Ich laufe zu meinem Koffer hinüber und nehme ein frisches Kleid daraus hervor. Da ich weiß, dass nur Beck und Bethina mich sehen können, ziehe ich mich nackt aus. Beck grinst und senkt dann höflich den Blick, bevor Bethina ihm eine Kopfnuss versetzt.
    Als ich mir das Kleid über die Arme ziehe, sagt Bethina: »Ich glaube, du solltest etwas Wärmeres tragen, Lark. Warum ziehst du nicht eine Hose und einen Pullover an?«
    »Warum?« Ich halte mit über dem Kopf gekrümmten Armen inne.
    »Weil du nicht hierbleibst.«
    »Natürlich tut sie das. Lark bleibt bis zum sechsten Oktober. Es ist alles geregelt. Wir reisen danach ab«, sagt Beck.
    »Nein, Beck.« Bethinas Mund ist verkniffen. »Ihr geht beide. Wenn ihr euch retten wollt, müsst ihr jetzt abreisen. Sofort.«
    Ich ignoriere Bethinas Kleidungstipp und streife mir das Kleid über. Dann hake ich mich bei Beck ein. Er lehnt sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. Dieses eine Mal stütze ich ihn.
    Mein Verstand ist jetzt scharf und nicht mehr benebelt. »Was geht hier vor?«
    »Sie haben Beck gestern Abend hinter dir hergeschickt, um darüber diskutieren zu können, was mit dir geschehen soll.« Bethinas beherrschte Fassade bekommt Risse. »Lark, sie haben gestern Abend beschlossen, dich für immer gefangen zu halten. Aber jetzt …«
    »Was?«, schreien Beck und ich gleichzeitig.
    »Jetzt seid ihr hingegangen und habt alles nur noch schlimmer gemacht. Viel, viel schlimmer.« Ihre Augen glänzen vor Tränen. »Ihr habt euch aneinandergebunden. Und die einzige Art, eine Bindung aufzulösen,
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