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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen
Autoren: Wolfgang Burger
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Minuten später hereinbrachte, war genauso stark, wie er am Ende einer durchzechten Nacht zu sein hat.
    Â»Wie haben Sie die Tat entdeckt?«, fragte ich nach dem ersten Schluck. »Sind Sie morgens immer so früh auf dem Flur?«
    Â»Aber nein.« Ernst schlug sie die grauen Augen nieder und errötete zart. »Ich musste zur Toilette. Da habe ich vor der Tür Geräusche gehört. Leise, eilige Schritte. In den vergangenen Monaten ist im Haus einige Male eingebrochen worden, und deshalb habe ich dann – wirklich ganz entgegen meinen Gewohnheiten – durch den Spion geblickt.«
    Â»Haben Sie jemanden gesehen?«
    Â»Nein. Es war Licht im Flur, aber gesehen habe ich niemanden. Ich meine, ich hätte dann noch den Aufzug gehört, aber da bin ich mir nicht sicher. Dann ist mir aufgefallen, dass Frau Bovarys Tür einen Spalt offen stand. Erst dachte ich, was geht es mich an, und habe mich wieder hingelegt. Aber dann konnte ich nicht wieder einschlafen. Schließlich bin ich aufgestanden und habe nachgesehen. Und da …« Sie schluckte zweimal, schüttelte fassungslos den Kopf. »Im Flur war es jetzt dunkel, Frau Bovarys Tür stand immer noch offen, und innen war Licht. So habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen, bin hinaus, habe durch den Türspalt gesehen, und nun ja … da lag sie dann.«
    Â»Wann war das?«
    Â»Als ich die Polizei angerufen habe, war es halb fünf. Das erste Mal, als ich zur Toilette war, dürfte es etwa eine Stunde früher gewesen sein. Aber da habe ich nicht auf die Uhr gesehen.«
    Â»Was wissen Sie über Ihre Nachbarin?«, fragte ich nach einem weiteren Schluck Kaffee, an dem ich mir die Zunge verbrannte. »Der Name Bovary klingt französisch.«
    Â»Sie war aber keine Französin. Das A steht für Anita, und nach ihrem Akzent zu schließen, stammte sie aus Berlin. Ihre Vorfahren waren vielleicht Hugenotten. Die hat der Alte Fritz ja seinerzeit eingeladen, nach Preußen umzusiedeln. In ihrer alten Heimat Frankreich wurden die Hugenotten wegen ihres Glaubens ständig unterdrückt und drangsaliert.«
    Sprach ich mit einer Geschichtslehrerin? Die wenigen Bücher, die ordentlich gestapelt auf dem kleinen Couchtisch lagen, ließen keinen Schluss auf ihre Interessen zu. Es waren ausschließlich Romane: Döblin, Brecht, Grass, Muschg.
    Â»Haben Sie sie gut gekannt?«
    Sie sah in ihre Tasse, die sie die ganze Zeit in der Hand hielt, ohne einmal daran zu nippen.
    Â»Nein«, erwiderte sie ein wenig verlegen. »Ich weiß so gut wie nichts über sie. Sie hat ja auch noch nicht lange hier gewohnt.«
    Â»Gibt es Angehörige, die man benachrichtigen muss?«
    Sie hob die schmalen Schultern und raffte mit der rechten Hand den Morgenmantel am Hals zusammen, als wäre ihr kalt. Das Fenster hatte ich längst wieder geschlossen.
    Â»Ich weiß es nicht. Wir haben uns nur hin und wieder im Flur getroffen und sind zwei- oder dreimal zusammen im Lift gefahren. Gesprochen haben wir, was man so spricht, wenn man sich kaum kennt. Das Wetter, der viele Regen über Weihnachten. Sie war auch nicht übermäßig mitteilsam. Freundlich war sie, ja, aber Frau Bovary hat keinen großen Wert auf nachbarschaftliche Kontakte gelegt.«
    Ich suchte und fand ein Blatt Papier in der Innentasche meines Jacketts sowie einen Kugelschreiber, der sogar funktionierte.
    Â»Seit wann genau hat sie nebenan gewohnt?«
    Â»Im Oktober ist sie eingezogen, daran erinnere ich mich noch genau. Es war an dem Tag so furchtbar heiß.«
    Â»Wo hat sie vorher gewohnt?«
    Erneutes Schulterzucken. Plötzlich entschlossen, leerte sie ihre Tasse und stellte sie mit einer zielsicheren Bewegung ab.
    Â»Was ich merkwürdig fand: Sie hat kaum etwas mitgebracht, als sie hier auftauchte. Einen Koffer, eine oder zwei Taschen, ein bisschen Kram, hat mir Frau von Freithal erzählt.«
    Â»Frau von Freithal ist eine weitere Nachbarin, nehme ich an?«
    Sie nickte. »Die Wohnung gegenüber ist möbliert, müssen Sie wissen. Aber in ihrem Alter, Frau Bovary dürfte um die vierzig sein, da hat man doch eigene Möbel, nicht wahr? Einen Hausstand und nicht nur einen Koffer. Vielleicht hat sie sich getrennt, haben wir gedacht. Frau von Freithal meinte, sie habe sich vielleicht Hals über Kopf von einem Mann getrennt. Und wer weiß, vielleicht hat er ja …«
    Sie verschluckte den
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