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Eiskaltes Schweigen

Titel: Eiskaltes Schweigen
Autoren: Wolfgang Burger
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unzählige von Theresa.
    Ihre erste Nachricht hatte sie am Dienstagvormittag geschrieben, vierzehn Stunden nachdem ich Durian getroffen hatte. Sie berichtete mir vom Gesundheitszustand ihres Mannes – noch immer wisse man nichts, aber demnächst solle nun endlich die Biopsie gemacht werden. Am Dienstagabend war die erlösende Nachricht gekommen: der Schatten im Röntgenbild von Liebekinds Lunge sei kein Krebs, sondern irgendetwas anderes, Gutartiges. Theresa klang zutiefst erleichtert und zugleich ein wenig irritiert, weil ich nicht antwortete. Außerdem sei ihr am vergangenen Abend eine kuriose Sache passiert, die sie mir bei Gelegenheit erzählen müsse. Am Mittwochmorgen hatte sie dann offenbar erfahren, warum ich nichts von mir hören ließ. Ihre nächste SMS hatte sie ins Leere geschrieben, mir viel, viel Glück gewünscht und mir versichert, sie sei in Gedanken jede Sekunde bei mir. Anschließend hatte sie mir jeden Tag zwei, drei Nachrichten geschrieben, in denen sie mir von ihrem Alltag berichtete, von ihrer Erleichterung wegen der nun zügig voranschreitenden Genesung Liebekinds, von ihren Gefühlen zu mir, die plötzlich anders, tiefer zu sein schienen als je zuvor. Die letzte Nachricht war von gestern, Sonntagabend. Sie gratulierte mir überschwänglich zum glimpflichen Ausgang meines Abenteuers und freute sich darauf, mich bald wiederzusehen und zu umarmen und so weiter.
    Kein einziges Wort von Entführung. Nur diese kuriose Sache am Montagabend.
    Hatte Durian nicht behauptet, er würde niemals lügen? Oder hatte er etwa gar nicht gelogen, sondern seine Sätze nur so formuliert, dass ich glauben musste, er habe Theresa in seiner Gewalt?
    Gleichgültig jetzt. Glücklich schrieb ich zurück. Dass es mir schon wieder ganz gut gehe, dass ich mich auch im Nachhinein sehr über ihre Anteilnahme freue, dass ich seit Ewigkeiten – abgesehen von geschlechtslosen Krankenschwestern – keine Frau mehr aus der Nähe gesehen habe. Sie antwortete Sekunden später fröhlich und frech. Ganz die alte Theresa, wie ich sie liebte.
    Plötzlich fühlte ich mich wieder angekommen in der Welt.
    In meiner Welt.

38
    Gegen Abend erschien Sönnchen mit einem kolossalen Blumenstrauß, lieben Grüßen von der gesamten Direktion und einer Flasche Sekt, die wir zur Feier meiner Wiederkehr umgehend entkorkten und im Lauf ihres halbstündigen Krankenbesuchs zu einem guten Teil leerten.
    Auch sie war über alle Maßen glücklich, dass alles gut ausgegangen war, versicherte sie mir wieder und wieder mit feuchten Augen. Ich hatte nicht gewusst, wie wohltuend Mitgefühl sein kann. Eine Weile umarmte sie mich sogar still, dann saß meine treue Sekretärin einige Zeit schweigend, mit gesenktem Blick und hin und wieder leise seufzend oder an ihrem Glas nippend neben mir, und schließlich kamen wir überein, noch ein letztes Gläschen Sekt zu uns zu nehmen und es dann mit der Gefühlsduselei gut sein zu lassen.
    Michael Durian lag im künstlichen Koma, erfuhr ich, und noch immer war nicht sicher, ob und in welchem Zustand er überleben würde. Sven Balke hingegen ging es schon wieder ganz ordentlich, und auch er ließ mich grüßen. Er war ebenfalls wieder in Heidelberg, genauer: in seiner Wohnung in Schlierbach.
    Â»Hat er denn jemanden, der sich ein wenig um ihn kümmert?«, fragte ich.
    Sönnchen lächelte und schwieg. Da schien es etwas zu geben, was ich noch nicht wusste.
    Â»Sagen Sie schon, wen? Ist er etwa wieder mit dieser Nicole zusammen?«
    Â»Das erraten Sie nie. Es ist die Kollegin Krauss.«
    Â»Evalina? Ich werd nicht mehr!«
    Â»Seit der Arme so erkältet gewesen ist. Da sind sie irgendwiezusammengekommen, fragen Sie mich nicht, wie. Und seither sind sie ein Paar, ja.«
    Sie hatten mein Handy tatsächlich geortet, erfuhr ich jetzt. Allerdings erst nach drei Tagen, und erst als Durian und ich längst hundert Kilometer entfernt waren. Am Tag darauf war dann der Alarmruf aus Frankreich gekommen, aber meine Leute hatten auch so gewusst, wo ungefähr ich mich befand.
    Neben Blumen, Sekt und Neuigkeiten hatte Sönnchen auf meinen Wunsch noch etwas mitgebracht: Durians Buch. Schon in Saint Dié hatte ich mir vorgenommen, es noch einmal, und dieses Mal gründlich zu lesen.
    Damit begann ich, sowie Sönnchen sich mit einem allerletzten Seufzer verabschiedet hatte. Im Lauf
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