Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisenhand

Eisenhand

Titel: Eisenhand
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
leider viel zu klein.
    Der eigentliche Zweck eines solchen Manövers ist es, Schild an Schild einen festen Schutzwall zu bilden. Wir hatten keine Schilde.
    Justinus war zu müde und niedergeschlagen für eine mitreißende Ansprache, doch er forderte die Rekruten auf, ihr Bestes zu geben. Die Blicke, die sie tauschten, waren weise wie die altgedienter Soldaten; sie begriffen unsere Lage.
    Es war Spätnachmittag. Feiner Nieselregen tröpfelte durch die Bäume. Wir waren ungewaschen, hungrig und froren. Das Haar hing uns feucht in die Stirn, und die Stiefel waren hart und rissig geworden von getrocknetem Salzwasser und Schlick. Ich sah, daß die Bäume zum Teil schon ihr buntes Herbstlaub abgeworfen hatten. Die frostig klare Luft warnte vor dem nahenden Winter.
    Es roch nach modrigem Laub und Furcht. Diese neue Krise war genau eine zuviel. Es war wie einer jener Alpträume, in denen man endlos von einer Katastrophe in die andere schlittert, immer wissend , daß es eigentlich nur ein Traum ist, aus dem man jeden Augenblick erwachen muß; und doch kann man sich nicht aus dem Labyrinth befreien, wartet und wartet vergebens auf den erlösenden Augenblick, da man sicher und geborgen daheim im Bett liegt, neben sich ein liebes, tröstendes Gesicht.
    Wir verstanden nicht, warum die Tenkterer nichts unternahmen.
    Ihre Gegenwart war deutlich spürbar, und manchmal sahen wir einen Pferderücken oder eine Rüstung durch die Bäume schimmern. Wir hörten die Rosse schnauben und das Klirren der Geschirre. Einmal hustete jemand. Wenn er immer in diesem nebligen Flußtal lebte, nur zu verständlich.
    Sie waren knapp außer Speerweite. Eine Ewigkeit standen wir so in Formation und lauschten angestrengt auf jenen ersten fatalen Schritt, der unser Ende bedeuten würde. Hufe scharrten im frisch gefallenen Laub. Über uns raschelte ein frischer Wind in den Baumkronen.
    Und dann war mir, als hörte ich noch etwas anderes.
    Justinus und ich standen mit dem Rücken zueinander. Er muß meine Anspannung gespürt haben, jedenfalls blickte er sich verstohlen nach mir um. Ich hielt das Gesicht in den Regen und lauschte angestrengt. Ich wagte nicht, etwas zu sagen, aber dieser seltsame, stille Einzelgänger hatte sich seine Neigung zu spektakulären Alleingängen auch über den Auftritt vor Veledas Turm hinaus bewahrt. Auch er lauschte angestrengt, reglos. Dann, auf einmal, stieß er einen schrillen Schrei aus, und ehe einer von uns ihn daran hindern konnte, brach er die Formation.
    Er setzte in wenigen Sprüngen hinüber zu dem Platz, wo wir unser dürftiges Gepäck deponiert hatten. Zum Glück lief er im Zickzack, denn schon flirrte eine Lanze durch die Luft, verfehlte ihn aber. Im nächsten Moment war er hinter unseren Pferden in Deckung gegangen. Dann sah ich ihn fieberhaft herumkramen, und als er sich wieder aufrichtete, blitzte in seiner Hand das Bügelhorn.
    Als er das Instrument an die Lippen hob und zu blasen anfing, kamen die Töne quäkender und gequetschter als an jenem Abend bei den Brukterern, aber das Leitmotiv der zweiten Vigilie war immer noch deutlich herauszuhören. Offenbar war dies das einzige Signal, das er spielen konnte.
    Ein Hagel tenkterischer Pfeile und Speere versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. Justinus hob schützend die Hände über den Kopf und sank zu Boden. Aber sicher hörte auch er, genau wie wir, jenen anderen Ton: strahlend, hell, rein, von professioneller Atmung gestützt. Irgendwo, irgendwo gar nicht weit von uns, hatte eine zweite römische Bronzetrompete seinem Signal aufs schönste geantwortet.
    Ihren Abzug bekamen wir nicht mit. Die Tenkterer müssen sich klammheimlich davongeschlichen haben.
     
    Nicht lange danach marschierte eine Vexillation der Vierzehnten Gemina aus dem dichten Wald. Es war ein Freiwilligenkorps, zusammengestellt und rheinabwärts geführt von einem Mann, dessen Namen und Rang ich trotz meines Vorurteils gegen ihn hier nicht verschweigen will: Es war niemand anderes als Sextus Juvenalis, der Lagerpräfekt aus Moguntiacum.
    Eigentlich war der Verband ausgerückt, um nach ihrem vermißten Legaten zu suchen, aber die Vierzehnte hat sich schon immer viel auf ihre Gründlichkeit zugute gehalten; getreu diesem Ruf retteten sie uns gleich mit, als sie den Leichnam ihres Generals auf die Festung überführten.

LXII
    Moguntiacum.
    Eine Brücke, eine Mautstelle, eine alberne Säule – und das Mädchen, nach dem ich mich die ganze Zeit gesehnt hatte.
    Die lange Schiffsfahrt hatte uns
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher