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Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Einschlafbuch Fuer Hochbegabte

Titel: Einschlafbuch Fuer Hochbegabte
Autoren: Dietmar Bittrich
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Register der originellen Schlafrezepte findet sich am Ende des Buches, nebst einem Register all unserer Kollegen, die auf diesen Seiten vertreten sind.
    Jetzt aber endlich das Schlafrezept des Dalai Lama. Es ist derartig grundlegend, dass es am Anfang stehen muss. Ja, es ist so erschütternd, dass es die ganze Literatur in Frage stellt, einschließlich der Schriften der buddhistischen Gelehrten und natürlich auch einschließlich dieses Buches. Dieses Buch hier ist in einem Stil geschrieben, der selbst auf heitere Weise in den Schlummer wiegt. Sie merken das schon. Ich ebenfalls. Doch der Dalai Lama in seiner unerschöpflichen Weisheit geht noch weiter.
    Wozu rät er? Nicht die Worte zu lesen, sondern die Zwischenräume. Wie bitte? Ja, genau. Nicht die Buchstaben, sondern die weiße Leere, die sich zwischen ihnen auftut. Das Weiße eben. Die von Nichts erfüllte Leere, meint der Weise, sei die letzte Realität. Aus ihr tauchen die Erscheinungen auf, in ihr vergehen sie wieder. Wenden wir uns, meint er, also gleich der Essenz zu. Lesen wir die Leere zwischen den Buchstaben, nicht deren vermeintliche Bedeutung. Das hat einen phantastischen Vorteil: Wir benötigen nur ein einziges Buch. Denn bei dieser Art Lektüre steht in jedem dasselbe. Nichts. Rein gar nichts. Nur die essenzielle Wahrheit. Wie herrlich beruhigend! Wir sinken in die Stille.
    So rät das Meer der Weisheit. Wenn wir dieses Rezept ausprobieren, merken wir allerdings, dass es gar nicht so leicht ist. Aus Gewohnheit entziffern wir doch die Worte. Mit einem fremdsprachigen Buch geht es einfacher. Der Erfinder von Tim und Struppi, Georges Prosper Remi, genannt Hergé, hegte eine Neigung zum Heimatland des Dalai Lama. Er verfügte über eine Sammlung von Blättern in tibetischer Schrift, meist Mantren, die er beim besten Willen nicht zu entschlüsseln vermochte. Wenn er keinen Schlaf finden konnte oder wenn Albträume ihn aufschreckten, nahm er solch ein Blatt zu Hilfe. Es wirkte einschläfernd. Ein tibetisches Blatt zu betrachten, bemerkte er einmal, sei, als sehe er durch ein ornamentales Geländer geradewegs nach Shambala hinein, in jenes sagenhafte makellose Land.
    Wir können das ausprobieren. Mit jedem Buch. In jeder Schrift. Wir können der Einfachheit halber auch dieses Buch hier verkehrt herum halten. Der britische Thriller-Autor John le Carré las zum Einschlafen Bücher von hinten, rückwärts, also vom Ende der allerletzten Zeile an nach links und dann Zeile für Zeile aufwärts. Das mag mit seiner einstigen Dechiffrier-Tätigkeit für den britischen Geheimdienst zu tun gehabt haben. Auf jeden Fall wiegte es ihn in wohlige Müdigkeit.
    Das können wir ebenfalls versuchen. Gleich hier. Nur falls wir jetzt, in diesem Augenblick, noch einen Rest Wachheit haben, können wir mal eben auf den nächsten zwei oder drei Seiten schauen, was unseren Geniekollegen so eingefallen ist.

Wirbelnde Gedanken von Marilyn bis Fidel Castro
    Worin die eigentliche Begabung der Norma Jean Baker bestand, bleibt umstritten. Sicher ist, dass sie intelligenter war, als sie sich gab. Die Rolle, die sie unter dem Namen Marilyn Monroe im öffentlichen Leben spielte, die der naiven Sexbombe, schuf einen Ruhe störenden Zwiespalt. Nicht bei anderen, sondern in ihrem eigenen Leben. Die Erwartungen, klagte sie, brächten sie um den Schlaf. Doch die Erwartungen waren es nicht; es waren ihre eigenen Gedanken, die sie selbst um die Erwartungen strickte.
    Sollte sie das platinblonde Pin-up-Girl geben? Oder ungefärbt und authentisch bleiben und dafür auf Geld und Bewunderung verzichten? Das waren Fragen, die sich tagsüber verflüchtigten – und bei Nacht zurückkehrten. Statt einzuschlafen, berichtete Norma-Marilyn, treibe sie dann in einem Meer von Gedanken, ohne den Kopf über Wasser halten zu können oder mit den Füßen auf Grund zu stoßen. So fühlte es sich an. Lebensbedrohlich.
    Hochbegabte sind damit vertraut. Bei Tageslicht, ließ der Philosoph René Descartes wissen, sei er unbekümmert; nachts kämen die Zweifel. Was tat der Meister dagegen? Er raffte sich empor von der strohgefüllten Matratze, entzündete eine Öllampe und begann zu schreiben. Alle seine Werke seien auf diese Weise entstanden, resümierte er später: aus nächtlicher Unruhe. Stets schrieb er so lange, bis er sicher war, dass die Ungewissheit fürs Erste fortgeschrieben blieb. Federkiel beiseitelegen, Öllampe herunterdrehen und einschlummern. Vermutlich war er nach mehrstündigem Schreiben
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