Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
verbracht, über Felsplatten zurückzuklettern, die beständig unter ihm zusammenbrachen, schließlich aber aus ihren eigenen Trümmern eine Art Fluchttreppe bildeten. Das mochte die Erklärung für Hornes optische Täuschung sein, eine weiße Woge sei erschienen und verschwunden, und schließlich zum Stehen gekommen. Auf jeden Fall aber war da jetzt Gideon Wise, solide aus Knochen und Flechsen, mit weißem Haar und weiß bestaubter ländlicher Kleidung und harten ländlichen Zügen, die jedoch sehr viel weniger hart waren als üblich. Vielleicht ist es förderlich für Millionäre, 24 Stunden auf einer Felsschulter einen Fußbreit von der Ewigkeit entfernt zuzubringen. Jedenfalls verzichtete er nicht nur auf jeden Groll gegenüber dem Verbrecher, sondern gab auch einen Bericht über die Angelegenheit, die das Verbrechen erheblich modifizierte. Er erklärte, daß Horne ihn überhaupt nicht hinabgestürzt hätte; daß vielmehr der ständig abbröckelnde Boden unter ihm nachgegeben habe und daß Horne sogar einige Anstalten gemacht habe, als ob er ihn retten wolle.
    »Auf jenem schicksalhaften Felsstück da unten«, sagte er feierlich, »habe ich Gott versprochen, meinen Feinden zu vergeben; und Gott würde es verdammt schäbig finden, wenn ich da nicht einen kleinen Unfall wie diesen vergäbe.«
    Horne mußte natürlich unter polizeilicher Bewachung abgeführt werden, aber der Detektiv verhehlte sich nicht, daß die Haft des Häftlings vermutlich nur kurz sein und seine Bestrafung, wenn überhaupt, nur sehr gering ausfallen werde. Nicht jeder Mörder kann schließlich den Ermordeten in den Zeugenstand stellen, daß er für ihn aussage.
    »Das ist ein merkwürdiger Fall«, sagte Byrne, als der Detektiv und die anderen über den Klippenpfad zur Stadt hin davonhasteten.
    »Ist es«, sagte Father Brown. »Es geht uns zwar nichts an; aber es würde mich freuen, wenn Sie noch bei mir blieben und wir es durchsprächen.«
    Nach einem Schweigen stimmte Byrne plötzlich zu, indem er sagte: »Ich nehme an, Sie dachten bereits an Horne, als Sie sagten, jemand sage nicht alles, was er wisse.«
    »Als ich das sagte«, erwiderte sein Freund, »dachte ich an den außergewöhnlich schweigsamen Mr. Potter, den Sekretär des nun nicht länger verblichenen oder (sagen wir mal) beklagten Mr. Gideon Wise.«
    »Nun ja, das einzige Mal, als Potter überhaupt etwas zu mir sagte, dachte ich, er wäre verrückt«, sagte Byrne und starrte vor sich hin, »aber ich habe mir nie vorgestellt, daß er ein Verbrecher sei. Er sagte irgendwas, das habe alles mit einem Eisschrank zu tun.«
    »Ja, ich habe mir gedacht, daß er einiges darüber gewußt hat«, sagte Father Brown nachdenklich. »Ich habe niemals gesagt, daß er irgendwas damit zu tun hatte… Ich nehme an, der alte Wise ist wirklich stark genug, um allein aus dem Abgrund raufzuklettern.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte der erstaunte Reporter. »Natürlich ist er aus jenem Abgrund herausgekommen; denn er ist ja da.«
    Der Priester beantwortete die Frage nicht, sondern fragte abrupt: »Was denken Sie über Horne?«
    »Na ja, man kann ihn nicht gerade einen Verbrecher nennen«, antwortete Byrne. »Er hat nie irgendeinem Verbrecher geähnelt, den ich je gekannt habe, und ich habe da einige Erfahrung; und Nares hat natürlich noch viel mehr. Meiner Meinung nach haben wir nie wirklich geglaubt, daß er ein Verbrecher sei.«
    »Und ich habe ihm in einer anderen Hinsicht nicht geglaubt«, sagte der Priester gelassen. »Sie mögen mehr über Verbrecher wissen. Aber es gibt eine Gruppe Menschen, über die ich vermutlich mehr weiß als Sie, oder auch Nares. Davon habe ich viele gekannt, und ich kenne ihre kleinen Tricks.«
    »Eine andere Gruppe Menschen«, wiederholte Byrne verdutzt. »Über welche Gruppe wissen Sie was?«
    »Reuige Sünder«, sagte Father Brown.
    »Das verstehe ich nicht«, widersprach Byrne. »Sie meinen, Sie glauben ihm sein Verbrechen nicht?«
    »Ich glaube ihm seine Beichte nicht«, sagte Father Brown. »Ich habe viele Beichten gehört, aber niemals eine ehrliche von dieser Art. Sie war romantisch; sie war literarisch. Sehen Sie mal, wie er darüber sprach, das Kainszeichen zu tragen. Das war literarisch. Niemand würde so empfinden, der gerade mit eigener Person getan hat, was ihm bisher entsetzlich war. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein ehrlicher Angestellter oder Ladenjunge und stellten schockiert fest, daß Sie soeben zum ersten Mal Geld gestohlen haben. Würden Sie dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher