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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei
Autoren: Michael Swanwick
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zurück.
    »Ich habe die Nase endgültig voll von dir, mehr kann ich nicht ertragen!« schrie Gunther. »Du billige Fotze!«
    »Hört euch das an! Habt ihr gehört, wie er mich nennt?«
    Unter Gebrüll wurden sie durch die gegenüberliegenden Türen hinausgezerrt.

    »SCHON GUT, GUNTHER.« Beth hatte ihn in die erste Koje geschubst, die sie erreicht hatten. Er prallte zitternd gegen die Wand und schloß die Augen. »Jetzt ist alles in Ordnung.«
    Doch das war keineswegs so. Gunther kam die plötzliche Erkenntnis, daß er mit Ausnahme von Ekatarina keine Freunde mehr hatte. Keine echten Freunde, wirkliche Freunde. Wie konnte das geschehen? Es war, als ob sich alle in reißende Werwölfe verwandelt hätten. Auch jene, die nicht im eigentlichen Sinn wahnsinnig waren, waren Ungeheuer. »Ich verstehe das nicht.«
    Beth Hamilton seufzte. »Was verstehst du nicht, Weil?«
    »Die Art, wie die Leute ... die Art, wie wir alle die Irren behandeln. Als Posner Anya verprügelt hat, standen vier weitere Anzuggestalten in der Nähe, und nicht einer von ihnen machte auch nur einen Finger krumm, um ihn daran zu hindern. Nicht einer! Und mir ging es genauso; es hat keinen Sinn, wenn ich so tue, als wäre ich besser als die anderen. Ich wäre am liebsten weitergegangen und hätte vorgetäuscht, nichts gesehen zu haben. Was geht in uns vor?«
    Beth Hamilton zuckte die Achseln. Ihr Haar war kurzgeschnitten und schwarz und umgab ein schlichtes rundes Gesicht. »Ich habe als Kind eine ziemlich teure Schule besucht. In einem Jahr machten wir eins dieser Experimente, die der persönlichen Bereicherung dienen sollen. Du kennst sie, oder? Ein Lebensexperiment. Wir wurden in zwei Gruppen aufgeteilt - Gefangene und Wächter. Die Gefangenen durften den ihnen zugewiesenen Bereich nicht ohne die Erlaubnis eines Wächters verlassen, die Wächter bekamen besseres Essen und all solche Sachen. Sehr einfache Regeln. Ich gehörte zu den Wächtern.
    Fast sofort fingen wir an, die Gefangenen zu schikanieren. Wir stießen sie herum, schrien sie an, befahlen ihnen, sich in Reih und Glied aufzustellen. Das Erstaunliche war, daß die Gefangenen es sich gefallen ließen. Sie waren uns zahlenmäßig fünf zu eins überlegen. Wir hatten keinerlei Befugnis, uns so zu verhalten, wie wir es taten. Doch keiner von ihnen beschwerte sich. Kein einziger erhob sich und sagte: Nein, das dürft ihr nicht tun. Sie spielten das Spiel mit.
    Nach Ablauf eines Monats wurde das Projekt abgesetzt, und wir analysierten in einigen Studienseminaren, was wir gelernt hatten: die Wurzeln des Faschismus und so weiter. Lies mal Hannah Arendt. Und schließlich war alles vorbei. Außer daß meine beste Freundin nie wieder ein Wort mit mir sprach. Ich kann es ihr nicht verübeln. Nicht nach der Art, wie ich mich verhalten hatte.
    Was hatte ich wirklich gelernt? Daß die Menschen jede Rolle spielen, in die man sie steckt. Sie tun es, ohne zu wissen, was sie tun. Man nehme eine Minderheit, erzähle ihr, daß sie etwas Besonderes sei, und mache die Leute zu Wächtern - und sie werden Wächter spielen.«
    »Wo liegt also die Lösung? Wie können wir verhindern, daß wir für immer in den Rollen gefangen sind, die wir spielen?«
    »Wenn ich es nur wüßte, Weil. Wenn ich es nur wüßte.«

    EKATARINA WAR IN EINE KOJE am hinteren Ende eines neuen Tunnels gezogen. Es war der einzige Raum im ganzen Tunnel, und folglich genoß sie reichlich Privatsphäre. Als Gunther eintrat, hob sich eine Stimme aus dem statischen Knistern in seinem Mentalkom-Chip heraus. »... Entsetzen gemeldet. In Kairo wird von regierungsamtlicher Seite betont ...« Sie verstummte.
    »He! Das bedeutet die Wiederherstellung ...« Er brach ab. Wenn die Radioverbindung wirklich wiederhergestellt worden wäre, hätte er es gewußt. Das wäre allgemeiner Gesprächsstoff im Zentrum gewesen. Das hieß also, daß der Funkkontakt niemals vollkommen abgebrochen gewesen war. Er wurde einfach vom KMP kontrolliert.
    Ekatarina sah ihn an. Sie hatte offenbar geweint, inzwischen aber aufgehört. »Die Schweizer Orbitalgesellschaft gibt es nicht mehr!« flüsterte sie. »Man hat sie mit allem beschossen, von Weichbomben bis zu Glitzerkieseln. Man hat die Schiffswerften zu Staub gemacht.«
    Das gewaltige Ausmaß der Todesopfer verschleierte im ersten Moment die Bedeutung dessen, was sie sagte. Er ließ sich neben ihr niedersinken. »Aber das heißt ...«
    »Daß es kein Raumfahrzeug gibt, das uns erreichen kann - genau. Sofern sich nicht ein
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