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Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)

Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)

Titel: Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Autoren: Corina Bomann
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dieses Jahr zu Weihnachten besuchen? Mama hat gesagt, Du willst bestimmt wieder wegfahren, aber davon hast Du mir noch nichts geschrieben, und deshalb frage ich jetzt. Kommst Du? Ich würde mich sehr freuen, denn wir haben uns ja schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen.
    Es drückt Dich ganz doll Dein Jonathan
    PS : Ich wünsche mir dieses Jahr ein Märchenbuch vom Weihnachtsmann …
    Anna saß wie versteinert vor dem Bildschirm und betrachtete den kleinen Schneemann mit roter Nase, der die Mail zierte, wohl einer der Weihnachtshintergründe des Mailprogramms. Aber nicht der runde Bursche mit der Karottennase irritierte sie. Ihr kleiner Bruder bat sie, Weihnachten bei ihm, ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zu verbringen! So was hatte es bisher noch nicht gegeben. Ein böser Verdacht erwachte in ihr. Schickte ihre Mutter ihn vor? Hatte sie die Mail vielleicht geschrieben und sich als ihr Bruder ausgegeben?
    Nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, zog sie die Schreibtischschublade auf. Mochte sie auch kaum noch Kontakt mit ihrer Mutter haben, ihr kleiner Bruder, der in diesem Jahr neun Jahre alt geworden war, schrieb ihr seit zwei Jahren beinahe jede Woche einen kleinen Brief, in dem er über das berichtete, was er erlebte. Mittlerweile füllten seine Briefe schon ganze Schuhkartons, die Anna sorgsam in ihrem Kleiderschrank aufbewahrte und gegen jegliche Schnüffelei durch Besucher hartnäckig verteidigte. Die aktuellsten und schönsten Briefe bewahrte sie in ihrem Schreibtisch auf, um sie zu lesen, wenn es ihr mal dreckig ging.
    Das letzte Mal, dass sie Jonathan und den Rest der Familie gesehen hatte, lag bereits genau ein halbes Jahr zurück, wie ihr ein Blick auf den Kalender bestätigte. Zu seinem Geburtstag am 19 . Juni hatte sie Jonathan und den Rest ihrer Familie besucht. Drei Tage hatte sie es ausgehalten, dann hatte sie die Flucht ergriffen.
    Auf den ersten Blick konnte man meinen, dass es Kleinigkeiten waren, die ihr den Aufenthalt verdorben hatten. Ihre Mutter hatte sich natürlich bemüht, sie etwas länger bei sich zu behalten, doch dann waren die Fragen gekommen: Was willst du nach deinem Studium anfangen? Gibt es einen Freund? Wäre es für dich nicht besser gewesen, in Berlin zu studieren? Und so weiter und so fort.
    Ihr Stiefvater hatte es geschafft, aus diesen einfachen, leicht nervigen Fragen ein Politikum zu machen. Da er in ihren Augen der Letzte war, der an ihr, die bald 22 wurde, herumerziehen durfte, hatte sie genervt ihre Sachen gepackt und sich aus dem Staub gemacht.
    Und jetzt kam diese Mail …
    Sie zog den letzten Brief, den ihr Bruder ihr in seiner kindlichen Handschrift geschrieben hatte, hervor. Morgen wäre eigentlich ein neuer dran gewesen.
    Hatte Jonathan die Mail doch selbst und von sich aus geschrieben?
    Sie stellte sich vor, wie der Junge mit dem strubbligen braunen Haarschopf ihre Mutter anbettelte, ihn an den Computer zu lassen. Die Vorstellung rührte sie zutiefst, und dann war da auch noch die Bitte um das Märchenbuch.
    Wahrscheinlich hatte Gerd, ihr Stiefvater, gemeint, dass der Junge kein Buch kriegen sollte, sondern was für richtige Jungs, ein Auto oder einen Baukasten. Nur ja keine Kultur, und schon gar keine Literatur, das könnte ihn ja verweichlichen …
    Anna atmete tief durch, um die beginnende innere Hasstirade gegen ihren Stiefvater zu unterdrücken. Dass er nichts für Bücher übrig hatte, war einer der Gründe, weshalb sie sich nie so richtig mit ihm hatte anfreunden können.
    Also gut, vielleicht ist die Mail wirklich von Jonathan, sagte sie sich. Und wenn sie von ihrer Mutter war, was machte es schon? Egal, wer sie nun eingeladen hatte, Jonathan würde sich freuen.
    Vielleicht sollte ich deswegen fahren, ging es Anna trotzig durch den Kopf. Dann bekommt Jonathan sein Märchenbuch, und Gerd kann sich schwarzärgern, dass sich der Kleine mal drei Tage nicht wie ein richtiger Junge benimmt. Ich könnte ihm vorlesen, und wir könnten eine Märchenbuch-Bude bauen, in der wir beide uns vor der Welt verstecken …
    Anna stellte sich vor, wie seine Augen bei dem Vorschlag aufleuchten würden. In den Briefen, die sie in den letzten beiden Jahren an Weihnachten bekommen hatte, hatte immer etwas Traurigkeit mitgeschwungen, dass sie nicht kommen konnte.
    Na gut, meinetwegen, dachte sie, während sie auf den Antworten-Button klickte, auch die Weihnachtstage vergehen. Wenn’s ätzend wird, hau ich einfach früher wieder ab und gut ist.
    Von:
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