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Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Küche betraten. Hier war es angenehmer als im Keller, aber auch nicht gerade gemütlich. Lena drehte die Heizung auf, obwohl sie wusste, dass das nichts nützen würde, weil es schon spät war und der Kessel nur noch auf Nachttemperatur lief.
    »Etwas Warmes«, bat der Junge und fügte mit unüberhörbarer Begeisterung in der Stimme hinzu: »Etwas mit Schokolade.«
    Das also hatte er vermisst. Natürlich. Was bekam ein Hund zu fressen? Fleisch, aus der Dose. Kalt.
    »Etwas Warmes mit Schokolade«, wiederholte Lena. »Soll ich dir einen Kakao machen?«
    »Das wäre prima«, nickte Julius.
    Sie nahm eine Kasserolle vom Haken, entzündete die Gasflamme, holte Milch aus dem Kühlschrank. Ihre Gedanken rotierten derweil weiter. Wie war ein Bann zu brechen? Sie brauchte einen Hinweis, irgendeine Spur …
    Kakaopulver war noch da, zum Glück.
    »Die letzten Male – letztes Weihnachten und die Weihnachten davor – wusstest du da, dass ich nicht zu Hause war?«, fragte sie, während sie die Milch rührte.
    »Ja«, sagte er.
    »Woher?«
    »Ein Hund weiß so was.«
    Aha. »Und diesmal?«
    »Ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte. Ich wollte ganz leise sein, im Keller bleiben …«
    »Verstehe.« Sie steckte einen Finger in den Kakao. Heiß genug. Sie füllte alles in eine große Tasse und stellte sie ihm hin. »Erzähl doch mal. Wie ist das alles gekommen?«
    Er griff mit beiden Händen nach der Tasse. »Was?«
    »Dass du zum Hund geworden bist.«
    »Genau weiß ich das auch nicht … Es war an Weihnachten. Ich denke, deswegen fällt die Zeit, in der ich Mensch werden muss, immer auf Heiligabend.« Er trank, immer noch mit beiden Händen. Eswirkte ungeschickt, so, als wäre er den Gebrauch seiner Hände nicht mehr gewöhnt.
    Immerhin hat er den Schlüssel ins Schloss bekommen, dachte Lena. »Was ist passiert?«
    »Ach, es war ein ganz blöder Anlass. Ich hatte mir einen MP3-Player zu Weihnachten gewünscht, und zwar wirklich gewünscht, ganz fest. Ich meine, es hätte ja irgendeiner sein können, auch ein ganz billiger; alle in der Schule hatten so ein Teil, bloß ich nicht, das war wirklich nicht mehr witzig, verstehen Sie? Jedenfalls habe ich meiner Mutter damit monatelang in den Ohren gelegen, hab es wirklich bei jeder Gelegenheit gesagt, und ich dachte, vielleicht hört sie diesmal auf mich …« Sein Gesicht verschloss sich, sein Blick schien in eine weit entfernte Vergangenheit zu entgleiten. »Mutter hat sich damals immer um den Hund von Frau Bose gekümmert – das ist eine Freundin von ihr, die oft verreisen muss, geschäftlich und so. Meine Mutter war ganz vernarrt in dieses Viech, und ausgerechnet diesmal war die Töle das erste Mal über Weihnachten da, fast den ganzen Dezember über. Und als ich dann unter dem Weihnachtsbaum saß, meine Mutter mit dem Hund spielte und redete, die ganze Zeit, echt … und ich mein Geschenk auspackte und es nur ein blödes Hemd war … da bin ich ausgerastet.«
    Er atmete schwer, schien den dampfenden Becher in seinen Händen vergessen zu haben.
    Lena sagte nichts.
    »Es war nicht, weil ich nicht bekommen hatte, was ich mir gewünscht hatte, verstehen Sie? Es war, dass meine Mutter sich nicht einmal daran erinnerte, was ich mir gewünscht hatte. Ich hatte mindestens seit September jeden verdammten Tag auf sie eingeredet, und sie hatte nicht mal mitbekommen, dass ich mir was gewünscht hatte!«
    Lena nickte sachte. »Und dann?«
    »Ich hab das Hemd liegen lassen und bin auf mein Zimmer gegangen. Aber die Wut ist angeschwollen und angeschwollen, weil es immer so war, verstehen Sie, immer, und am Ende ist irgendwas in mir … geplatzt. Ich bin abgehauen. Raus. Mitten in der Nacht. Es war sternklar,das weiß ich noch, und kalt, und ich bin einfach nur durch die Straßen gelaufen und gelaufen …« Er sah sie an, mit einem Blick, in dem sich Schmerz spiegelte. Nein, mehr als Schmerz – Entsetzen. »Irgendwann war ich auf dem Hermannsberg. Den nennt man auch Hexenberg, wussten Sie das?«
    »Hexenberg?« Das hatte Lena nicht gewusst. Aber irgendwie überraschte es sie nicht.
    Julius atmete immer noch schwer, brachte eine ganze Weile nichts heraus. »Ich war … Ich weiß nicht. Ich habe die ganze Zeit nur gedacht: ›Ich möchte ein Hund sein. Ich möchte ein Hund sein. Wäre ich ein Hund, dann würde sich meine Mutter auch um mich kümmern.‹ Immer wieder dieser Gedanke, wie ein glühendes Eisen, das in mir herum und herum wühlte …«
    Er starrte ins Leere, minutenlang. Dann
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