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Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Titel: Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Autoren: Fiona Limar
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wir voneinander gehört haben."
    Ganz kurz schien Traurigkeit Melissas Blick zu verschleiern. Gleich darauf verschloss sich ihr Gesicht wieder zu einer undurchdringlichen Maske. Auch ohne Worte bedeutete sie mir, dass sie nicht weiter zu diesem Thema befragt werden wollte. Doch in meinem Kopf schwirrten eine Menge Fragen herum. Was war da tatsächlich geschehen? Hatte der Adoptivvater Melissa vielleicht zu sehr gemocht? War es Eifersucht auf die allzu schöne Adoptivtochter gewesen, die die Frau so rigoros handeln ließ? Ich hatte natürlich keinerlei konkrete Anhaltspunkte für diese Vermutung. Auf Vermutungen blieb ich allerdings angewiesen, denn Melissas knappe Ausführungen warfen ständig mehr Fragen auf als sie beantworteten. So war ich letztendlich ganz froh darüber, dass die notwendigen Arztbefunde noch nicht eingetroffen waren und ich den Beginn der Hypnosebehandlung dadurch etwas hinausschieben konnte. Das eigentliche Problem bestand darin, dass Melissa mir offenbar nicht vollständig vertraute. Vertrauen in den Therapeuten ist aber die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Hypnose.
    Ich verstand selbst nicht, weshalb ich mich mit Melissa so schwer tat. Ich war doch schon mit wesentlich schwierigeren Patienten fertig geworden, sogar mit solchen, die mich am Anfang offen abgelehnt hatten. Frau Kretschmar war eine solche Patientin gewesen. Sie hatte sich ursprünglich an Ruth gewandt und war alles andere als begeistert gewesen, von dieser an mich verwiesen zu werden. Bei unserer ersten Begegnung hatte sie mich mit unverhohlenem Misstrauen gemustert: "Wie alt sind sie eigentlich?", lautete ihre erste Frage. Meine Antwort, ich sei neunundzwanzig, stimmte sie nicht unbedingt versöhnlicher. Frau Kretschmar war 50.
    Ich war stolz darauf, mein Psychologiestudium und die anschließende Ausbildung zur Psychotherapeutin so zügig bewältigt zu haben. Doch im beruflichen Alltag war Jugend nicht unbedingt von Vorteil. Viele Patienten bevorzugten ältere Therapeuten wegen deren größerer Berufs-, und Lebenserfahrung. Ich musste mir meine Akzeptanz erst hart erarbeiten. Der gewaltige Schatten, den Ruth mit ihrem Ruf als eine der besten Hypnosetherapeutinnen landesweit warf, kam noch erschwerend hinzu. Viele Patienten nahmen weite Anfahrtswege auf sich, um von der Meisterin persönlich behandelt zu werden. Da war es nur zu verständlich, dass sie sich dann nicht mit dem Lehrling begnügen wollten.
    Vermutlich hätte Frau Kretschmar die Behandlung durch mich sogar abgelehnt, wenn ihr ihre Situation nicht so ausweglos erschienen wäre. Sie litt unter Kleptomanie und sie litt wie ein Hund. Während unseren ersten gemeinsamen Stunden flossen Ströme von Tränen und sie äußerte ernst zu nehmende Suizidabsichten. Niemand ahnte etwas von ihrem Problem, nicht einmal ihr Ehemann. Dieser Druck zu absoluter Geheimhaltung belastete sie zusätzlich.
    "Heute dürfen Sie doch über fast alles reden, über Ihre Depressionen oder über Ihre Alkoholabhängigkeit. Da werden Sie für Ihren Mut und Ihre Offenheit sogar noch gefeiert und bekommen Unterstützung angeboten. Aber geben Sie mal zu, dass Sie zwanghaft stehlen müssen! Das nimmt Ihnen keiner ab. Da heißt es dann: Die klaut und sucht bloß eine tolle Ausrede für ihre kriminelle Ader. Sie würden ganz schnell alle Freunde verlieren. Wer will schon nach jedem Besuch nachgucken müssen, ob der Familienschmuck noch da ist? So stellen sich die Leute das doch vor. Jeder Arbeitgeber würde Sie sofort rauswerfen. Meiner sowieso."
    Frau Kretschmars Sorge war nachvollziehbar. Sie arbeitete beim Liegenschaftsamt ihrer Gemeinde und hatte seit einiger Zeit das Gefühl, dass man sie dort gern loswerden wollte. Bevorzugt ließ sie in Supermärkten Sachen mitgehen, und zwar ausnahmslos solche, für die sie keine Verwendung hatte. Zu Hause angekommen vernichtete und entsorgte sie alles mit einer Akribie, mit der ein Mörder sich an die Beseitigung der Leiche machen würde. Danach fühlte sie sich jedes Mal völlig ausgebrannt bis es sie wieder überkam. Inzwischen vermied es Frau Kretschmar überhaupt einen Laden zu betreten. Ihr Mann musste alle Einkäufe erledigen. Sie hatte ihm erzählt, dass sie unter heftiger Platzangst leiden würde und deshalb auch in Behandlung sei. Nun hoffte ihr Mann auf schnelle Besserung und sie natürlich ebenfalls.
    Ich versuchte Frau Kretschmar zu helfen. Doch ihre Erwartung, das Problem mit zwei bis drei Hypnosesitzungen endgültig aus der Welt zu schaffen,
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