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Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Titel: Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Autoren: Fiona Limar
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konnte ich natürlich nicht erfüllen. Inzwischen hatte sie meine Vorgehensweise verstanden und akzeptiert. In Gesprächen versuchten wir, die tiefer liegenden Ursachen ihrer Probleme aufzudecken. Sie erlernte unter meiner Anleitung ein Entspannungsverfahren, welches sie bei Bedarf selbst anwenden konnte.
    Frau Kretschmar hatte von einer unerträglichen inneren Anspannung gesprochen, die sie von Zeit zu Zeit überfiel. Diese löste sich erst in dem Moment als sie wieder unerlaubt etwas einstecken konnte. Kurzzeitig empfand sie dann sogar ein intensives Glücksgefühl, das bald darauf einem fürchterlichen Katzenjammer wich.
    "So ähnlich stelle ich mir das auch bei einem Trinker oder Spieler vor", sagte sie. "Die wissen auch, was sie auf jeden Fall vermeiden sollten und finden sich doch kurz darauf am Tresen oder am einarmigen Banditen wieder."
    Um ihr ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass sie diese Anspannung durchaus beherrschen konnte, setzte ich Hypnose ein. Im Zustand der Trance ließ ich sie durch Läden wandern und sich der Versuchung aussetzen. Sie berichtete von steigender Anspannung und ich sah, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Nun wies ich sie an, sich nach der bereits eingeübten Methode zu entspannen. Es gelang ihr zunehmend besser. Sie konnte visualisieren, wie sie den Laden ohne "Beute" verließ und empfand Befreiung und Triumph darüber. Nach einigen Sitzungen bewältigte sie sogar den ersten realen Einkauf.
    Inzwischen kamen wir blendend miteinander aus und Frau Kretschmar teilte mir immer mehr Einzelheiten ihrer Lebensgeschichte mit. Immer wieder kam mir in diesem Zusammenhang Melissa in den Sinn. Wenn sie sich mir nur annähernd so öffnen würde, wäre viel gewonnen. Doch davon schienen wir noch meilenweit entfernt zu sein.

6.
    Der Bericht von Melissas behandelndem Arzt erreichte mich in der Woche vor Weihnachten. Demnach war sie körperlich gesund. Es gab keine Anzeichen für ein Anfallsleiden oder ein psychotisches Geschehen.
    Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe und Ruth sah mich fragend an. Wir saßen uns in der Küche gegenüber und auf dem Adventskranz zwischen uns brannten drei Kerzen.
    "Mit Melissa ist soweit alles in Ordnung", sagte ich. "Ich könnte also mit der Hypnose beginnen."
    "Und was hält dich noch davon ab? Du klingst irgendwie nicht überzeugt. Wo liegt das Problem?"
    "Wenn ich das nur genau wüsste. Ich komme nicht richtig an sie heran, sie verheimlicht mir offensichtlich einiges. Sie wollte auch auf keinen Fall, dass ich den Therapeuten kontaktiere, bei dem sie früher in Behandlung war."
    Ruth wischte meine Bedenken mit einer Handbewegung beiseite. "Na und? Es ist doch normal, dass sich Patienten nicht sofort vollständig öffnen. Sie testen uns in der Regel erst einmal eine gewisse Zeit bevor sie sich dazu entschließen."
    "Das ist mir natürlich klar und stört mich normalerweise auch nicht weiter. Aber bei Melissa ist es anders. Sie hat zwei Gesichter und keines von beiden scheint ihre wahre Persönlichkeit zu zeigen. Mal ist sie das scheue Reh, verängstigt und Schutz suchend, dann wieder die Schneekönigin, glasklar in ihren Aussagen und beinhart, was ihre Forderungen betrifft. Der Wechsel zwischen beidem tritt sehr abrupt auf und am meisten irritiert mich daran, wie manipulativ sie ihn einsetzt. Mit ihrer Hilfsbedürftigkeit hat sie mich dazu gebracht, ihr vorgezogene Termine zu geben. Anschließend hat sie ihre dominante Seite eingesetzt, um die Therapie in eine ihr genehme Richtung zu lenken. Jetzt bereue ich, so schnell darauf eingegangen zu sein." Es fiel mir nicht leicht, vor Ruth zuzugeben, dass mir ein typischer Anfängerfehler unterlaufen war. Zu meiner Erleichterung ging sie erstaunlich gelassen darüber hinweg.
    "So etwas kann passieren," meinte sie, "man reagiert nicht immer sofort so, wie man es sich im Nachhinein gewünscht hätte. Was nun die zwei Gesichter von Melissa angeht, ist doch zu vermuten, dass sie damit nur das Verhalten ihrer Umwelt spiegelt. Auch sie war schließlich solchen emotionalen Wechselbädern ausgesetzt. Erst wollten ihre Adoptiveltern das süße Kind mit den blonden Locken unbedingt haben, dann wurde es plötzlich überflüssig. Wie soll ein Kind das verarbeiten?"
    "Damit sprichst du das nächste Problem an. Sie zeigt keine negativen Gefühle, empfindet gegenüber ihren Adoptiveltern angeblich nur Dankbarkeit. So ganz kann ich ihr das nicht abnehmen."
    "Vermutlich musste sie die Gefühle der Trauer und Enttäuschung ganz
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