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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Erdgeschoß und schließlich schwere Schritte auf der Treppe.
    »Für Mister Sherlock Holmes«, sagte er, als er den Raum betrat. Er händigte meinem Freund den Brief aus.
    Hier bot sich mir die Gelegenheit, ihm seine Einbildung auszutreiben. Daran hatte er sicherlich nicht gedacht, als er seine Vermutung ins Blaue hinein äußerte.
    »Darf ich fragen, guter Mann«, sagte ich mit meiner sanftesten Stimme, »was Sie von Beruf sind?«
    »Ich bin Bote, Sir«, sagte er knapp. »Die Uniform ist in der Ausbesserung.«
    »Und was waren Sie früher?« fragte ich, mit einem leicht maliziösen Blick zu meinem Gefährten.
    »Sergeant, Sir. Königliche Leichte Marineinfanterie, Sir. Keine Antwort? In Ordnung, Sir.«
    Er schlug die Hacken zusammen, hob die Hand zum Gruß und verschwand.
3. Das Rätsel von Lauriston Gardens
    Ich gestehe, daß ich über diesen neuen Beweis für die Anwendbarkeit der Thesen meines Gefährten zutiefst erstaunt war. Meine Achtung für seine analytischen Fähigkeiten nahm gewaltig zu. Dennoch lauerte in mir ein Verdacht, der Vorfall sei eine abgesprochene Episode, mit dem Ziel, mich zu verblüffen, wenn es auch mein Verständnis überstieg, welches Ziel unter dem Himmel er verfolgen mochte, indem er mich so foppte. Als ich ihn ansah, hatte er die Mitteilung gelesen, und seine Augen zeigten jenen leeren, stumpfen Ausdruck, der Geistesabwesenheit verriet.
    »Wie um alles in der Welt haben Sie das deduziert?« fragte ich.
    »Was deduziert?« fragte er mißmutig.
    »Na, daß er ein ehemaliger Marinesergeant ist.«
    »Ich habe keine Zeit für Nebensächlichkeiten«, antwortete er brüsk. Dann, lächelnd: »Entschuldigen Sie meine Grobheit. Sie haben meinen Gedankengang unterbrochen; aber vielleicht ist das ganz gut. Sie haben also wirklich nicht gesehen, daß der Mann Marinesergeant gewesen ist?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Das zu sehen war einfacher als die Erklärung, weshalb ich es weiß. Wenn man Sie zu beweisen bäte, daß zwei und zwei vier sind, könnten Sie Schwierigkeiten haben, und dennoch sind Sie dessen ganz sicher. Sogar über die Straße hinweg konnte ich einen großen blauen Anker sehen, den der Bursche auf dem Handrücken tätowiert hat. Das riecht nach Meer. Außerdem hielt er sich militärisch und hatte den üblichen Backenbart. Da haben wir den Mann von der Marine. Er hat auf mich den Eindruck gemacht, daß er sich für wichtig hält und daran gewöhnt ist, zu befehlen. Es muß Ihnen doch aufgefallen sein, wie er seinen Kopf hielt und den Stock schwenkte. Außerdem, wie man sehen konnte, ein zuverlässiger, achtbarer Mann mittleren Alters – lauter Tatsachen, die mich zu der Annahme geführt haben, daß er Sergeant gewesen ist.«
    »Wunderbar!« rief ich aus.
    »Absolut gewöhnlich«, sagte Holmes, wenn ich auch seinem Gesichtsausdruck entnehmen zu können glaubte, daß er ob meiner offensichtlichen Überraschung und Bewunderung erfreut war. »Ich habe eben gesagt, es gibt keine Verbrecher mehr. Es scheint, daß ich mich geirrt habe – sehen Sie sich das an!« Er warf mir das Schreiben zu, das der Dienstmann gebracht hatte.
    »Also«, rief ich, als ich es überflog, »das ist ja schrecklich!«
    »Es scheint tatsächlich ein wenig außerhalb des Üblichen zu liegen«, bemerkte er ruhig. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir den Brief laut vorzulesen?«
    Dies ist der Brief, den ich ihm vorlas:
     
    Mein lieber Mr. Sherlock Holmes – In der Nacht hat sich in 3, Lauriston Gardens, nahe der Brixton Road, eine üble Sache ereignet. Unser Mann, der seinen Rundgang machte, sah dort gegen zwei Uhr morgens ein Licht, und da das Haus leersteht, argwöhnte er, daß etwas nicht in Ordnung sei. Er fand die Tür offen, und im unmöblierten Vorderzimmer entdeckte er den Leichnam eines Gentleman, gut gekleidet und mit Karten in der Tasche, auf denen »Enoch J. Drebber, Cleveland, Ohio, U.S.A.« steht. Es war nichts gestohlen worden, weiterhin fehlt jeder Hinweis darauf, wie der Mann den Tod fand. Im Zimmer fanden sich Blutspuren, der Leichnam weist jedoch keine Wunden auf. Wir haben keine Ahnung, wie er in das leere Haus gekommen ist; im übrigen ist die ganze Angelegenheit ein Rätsel. Wenn Sie zu irgendeiner Zeit vor zwölf Uhr zum Haus kommen können, werden Sie mich dort antreffen. Ich habe alles
in statu quo
gelassen, bis ich von Ihnen höre. Sollten Sie nicht kommen können, würde ich Ihnen weitere Einzelheiten übermitteln. Ich wäre Ihnen überaus verbunden, wenn Sie so freundlich sein
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