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Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady
Autoren: Teresa Medeiros
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niemals endender Langeweile begann. Wenn sie bliebe, was würde sie Harriet alles berichten können! Natürlich vorausgesetzt, sie überlebte.
    Als er um eine Ecke verschwand, folgte sie ihm, wie von unsichtbaren Fäden seines Willens gezogen. Er schien nicht zu der Sorte Mann zu gehören, die an Widerspruch gewöhnt war.
    Während sie tiefer in das Haus vordrang, sah sie sich verstohlen um und bemühte sich, etwas zu erkennen. Sie würde Harriet nicht viel über seine Behausung berichten können. Das flackernde Kerzenlicht verstärkte die düsteren Schatten lediglich. Weiße Laken verhüllten alle Möbelstücke und verliehen den Räumen ein gespenstisches Aussehen. Das Hallen ihrer Schritte auf dem Eichenparkett war das einzige Geräusch, das zu vernehmen war.
    Der Hausherr warf ihr über die Schulter einen neugierigen Blick zu. »Du bist ja nicht sehr gesprächig, was?«
    Lottie musste sich auf die Lippen beißen, damit sie nicht laut auflachte. Wenn George das gehört hätte! Ihr Bruder behauptete steif und fest, dass sie deshalb ab und zu schwieg, um Luft zu holen, weil Blau ihrem hellen Teint so wenig schmeichelte.
    »Vielleicht ist das auch nur gut so. Derzeit bin ich ebenfalls nicht sonderlich redselig. Genau genommen halte ich meine eigene Gesellschaft nur schwer aus.« Er warf ihr einen weiteren Blick zu. »Es kommt jedenfalls einem Wunder gleich, eine Frau zu finden, die ihre Zunge hüten kann.«
    Lottie klappte das Kinn herunter; sie schloss ihren Mund aber rasch wieder, um sich nicht zu einer Erwiderung verleiten zu lassen.
    Als ihr Gastgeber sie durch eine Bogentür in einen Raum schob, streifte sie mit ihrer Schulter seine Brust. Sie atmete scharf ein, überrascht, wie überdeutlich sie sich auf einmal seiner Nähe bewusst war, und durch nichts auf die Welle süßer Empfindungen vorbereitet, die sie bei der flüchtigen Berührung durchfuhr und ihre Wangen erglühen ließ.
    Obwohl die Möbel in diesem Zimmer nicht unter Schutzbezügen steckten, machte die kleine Bibliothek keinen einladenderen Eindruck als der Rest des Hauses. Die deckenhohen Regale waren bis auf eine dicke Staubschicht leer. Er stellte den Kerzenständer auf den Schreibtisch, sodass das Licht auf einen schmalen Lederkasten fiel, der darauf stand. Lotties Blick folgend, trat er rasch zu dem Kasten, klappte mit unergründlicher Miene den Deckel zu und schloss ab. Diese verräterische Geste fachte ihre Neugier nur noch weiter an. Was wollte er verbergen? Die frisch mit Tinte beschriebenen Seiten seiner Memoiren, denen er seine entsetzlichen Taten anvertraute? Den abgeschlagenen Kopf seines letzten Opfers?
    Lottie blieb jäh stehen, wie gebannt von ihren schreckliehen Gedanken, während er zum Kamin ging, sich bückte und das dort vorbereitete Holz anzündete. Seine Bemühungen mit Feuerzeug, Zunder und Schüreisen ließen schon bald Flammen auf dem Kaminrost knistern, die einen anheimelnden Schein ausstrahlten, wie eine sonnige Oase in der Düsterkeit des Hauses.
    Das Feuer zeichnete die Umrisse seiner breiten Schultern und schmalen Hüften nach. Erst als er in den Lichtkreis der Kerzen auf dem Schreibtisch trat, konnte Lottie ihn zum ersten Mal deutlich sehen.
    Mit ihrem Vormund, ihrem Bruder und ihrem Onkel Thane war Lottie ihr Leben lang von gut aussehenden Männern umgeben gewesen, sodass, wenn auf der Straße ein attraktiver Mann an ihr vorüberging, sie ihn kaum eines Blickes würdigte. Wäre ihr jedoch dieser Mann begegnet, sie wäre gewiss gegen den nächsten Laternenpfosten gelaufen. Sein Gesicht war nicht eigentlich schön, sondern eher faszinierend. Zum allerersten Mal in ihrem Leben hatte ihre Fantasie sie im Stich gelassen. Auch wenn er noch argwöhnischer wirkte als sie, stand kein sardonisches Funkeln in seinen Augen, kein zynisches Lächeln kräuselte seine Lippen. Er war viel jünger, als sie angenommen hatte. Die tiefen Falten um seinen Mund hatte die Erschöpfung, nicht die Zeit dort eingegraben. Er besaß ein kräftiges Kinn und ausdrucksstarke Wangenknochen, auf denen dunkler Bartschatten lag. Sein zerzaustes Haar war von einem so tiefen Dunkelbraun, dass sie es fast mit Schwarz verwechselt hätte. Er benötigte dringend einen Haarschnitt. Lottie kribbelte es in den Fingern, so überwältigend war der Drang, ihm eine widerspenstige Locke aus der Stirn zu streichen.
    Seine rauchgrünen Augen unter den dunklen Brauen waren das Einnehmendste an seinen Zügen. Ihre tiefe Klarheit glühte und erstarrte abwechselnd, je
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