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Eine Schwester zum Glück

Eine Schwester zum Glück

Titel: Eine Schwester zum Glück
Autoren: Katherine Center
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noch bei jedem Hamburger, den ich aß, ob ich davon Rinderwahnsinn kriegen würde. Ich machte immer noch Fehler, schlief bei eingeschaltetem Licht und schrie Dixies Flüche, sobald ich allein im Wagen war. Ich vermisste immer noch das eine oder andere an New York und wusste nicht so recht, ob ich mich in meiner Heimatstadt jemals völlig zu Hause fühlen würde. Ich gab mich manchmal immer noch zu tough und arbeitete häufig zu viel.
    Natürlich. Küsse verändern nicht deine Persönlichkeit. Sie betäuben nicht die Schmerzen des Lebens oder bringen einem die Mutter zurück. Das Leben ist immer ein Kampf zwischen dem Menschen, der man ist, und dem, der man sein möchte. Es ist ein ständiges Verhandeln dazwischen, wie man es will und wie es tatsächlich ist. Da ran lässt sich nichts ändern.
    Am Montag nach der Kundgebung hielt die Stadt ihr Referendum zu der Bibliothek ab. Und von den ganzen Bewohnern der viertgrößten Stadt des Landes gingen zwölf Prozent zur Wahl. Und diese zwölf Prozent stimmten trotz all der Autoaufkleber, Plakatwände, Nachrichten hubschrauber und den berühmten 99 Küssen gegen die Schuldverschreibung.
    Wir waren sicher gewesen, dass sie genehmigt würde. Niemand hegte auch nur den geringsten Zweifel. Als ich von dem Dach gestiegen war, umarmten sich die Mitarbeiter aus dem Büro und klatschten noch lange ab, nachdem alle anderen schon längst nach Hause gegangen waren. Wir hatten es geschafft! Die Stadt war an dem Tag völlig aus dem Häuschen. »Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr die Medien Sie lieben«, erklärte mir Howard. »Seit Dienstag habe ich den Fernseher kein einziges Mal angeschaltet, ohne Ihr Gesicht zu sehen.«
    Wir hatten unser Allerbestes getan, aber es war nicht gut genug.
    Wir wussten es, sobald wir an die Wahlurnen gingen. Everett und ich gingen zusammen hin – nach Pfannkuchen und Kaffee in einem Diner ganz in der Nähe – und küssten uns für die Kameras, bevor wir in das Wahllokal gingen. Dann drückte er meine Hand, bevor wir uns trennten und zu unseren Wahlkabinen aufmachten, und ich konnte es kaum erwarten, zur Tat zu schreiten. Doch dann las ich die Frage auf dem Stimmzettel. Sie lautete folgendermaßen:
    Soll die Stadt das Recht ihrer Bürger wahren, zum Verkauf stehende Immobilien ohne Einmischung des Stadtrates, des Bürgermeisters oder anderer Interessensgruppen zu erwerben?
    Kurz gesagt, das war nicht die Formulierung, die Barbara Tierney vorgeschlagen hatte. Die Bibliothek oder das Thema Denkmalschutz wurden gar nicht erwähnt. Ich halte es für möglich, dass viele Leute es für eine rein hypothetische Frage hielten oder dass sie gegen die Schuld verschreibung stimmten, ohne auch nur zu wissen, was sie da taten. Barbara schrieb am Abend nach Bekanntgabe der Ergebnisse in einer E-Mail an alle, dass die Bibliothek wahrscheinlich von Anfang an dem Untergang geweiht gewesen sei. »Es waren viele gute Leute auf unserer Seite«, schrieb sie. »Aber ein paar sogar noch listigere aufseiten des Hochhauses. Es ist eine gute Lektion für uns. Wenn man sich dieser Arbeit verschreibt, lernt man, dass Kummer zum Leben dazugehört.«
    Innerhalb weniger Wochen hatten die Bauunternehmer den Verkauf unter Dach und Fach gebracht, und die Bibliothekarinnen packten die Bücher ein. Das Bauunternehmen beantragte schneller, als möglich schien, die Abrissgenehmigung – und wurde abgewiesen. Die Baufirma wartete neunzig Tage und riss die Bibliothek dann trotzdem ab. Am einundneunzigsten Tag rollten die Bulldozer auf den Rasen, und am zweiundneunzigsten Tag war das ganze Grundstück nur noch Schutt. Sogar der Gehsteig fiel ihnen zum Opfer. Auch die Bäume.
    An dem Morgen befahl ich mir selbst, nicht hinzugehen, entspannt zu bleiben, loszulassen und mich auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren. Doch so sorgsam ich auf dem Weg in die Arbeit auch versuchte, auf das Büro zuzusteuern, fuhr der Volvo doch in eine andere Richtung. Als der Abriss anfing, umklammerte ich längst den Bauzaun und flehte die Bulldozerfahrer mit einer kleinen Gruppe engagierter Demonstranten, der sich sämtliche Bibliothekarinnen angeschlossen hatten, um Erbarmen an. Vielleicht wäre ich den ganzen Tag dort geblieben, doch bald tauchte Howard auf und drängte sich auf der Suche nach mir durch die Menge. Als er mich fand, stemmte er meine Finger los, legte den Arm um meine Schulter, drehte mich sanft weg und führte mich zurück zum Wagen.
    »Wir schauen nicht zu, wie sie fallen«, erklärte er mir.
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